Dieser Appell der Initiative Lieferkettengesetz, von über 222.222 Menschen unterzeichnet, wird morgen dem Bundeskanzleramt übergeben. Die Kanzlerin selbst wird zur Entgegennahme nicht zur Verfügung stehen, aber die Botschaft hat sie längst gehört. Es ist zu vernehmen, dass sie sich innerhalb der Koalition zuletzt für das Gesetzesvorhaben eingesetzt hat. Doch Gesetz ist nicht gleich Gesetz. Die von der Bundesregierung angekündigten und von allen Seiten gespannt erwarteten Eckpunkte zum Lieferkettengesetz werden zeigen, ob ein zahnloses Bürokratiemonster geschaffen wird, oder ein Gesetz, das Firmen tatsächlich zur Verantwortung für Mensch und Umwelt entlang der Lieferketten zwingt.
272 Tote
Es sind unter anderem tragische Fälle wie der Tod von 272 Menschen, die im Januar 2019 bei einem Dammbruch an der Eisenerzmine in Brasilien um ihr Leben kamen, die die Notwendigkeit einer funktionierenden Lieferkettenkontrolle begründen. Der Fall der brasilianischen Eisenerzmine zeigt uns dabei viel für die anstehende Ausarbeitung eines Lieferkettengesetzes.
Über mehrere Jahre ist TÜV Süd Brasilien für die Kontrolle einer Eisenerzmine in Brumadinho in Brasilien zuständig. In ihrem offiziellen Gutachten von 2018 werden zunächst keinerlei Mängel am Damm der Mine festgestellt, doch nur wenige Monate später stellt sich diese Einschätzung als verheerend heraus: Der Damm bricht und über 250 Menschen wird in der Folge das Leben genommen.
Besondere Tragik erhält dieser Fall dadurch, dass dieses Unglück hätte eventuell verhindert werden können. Bereits 2017 sowie 2019 erneut melden Mitarbeiter des TÜV in ihren Gutachten Bedenken über die Bausicherheit des Dammes an. Doch vermutliche personelle Verstrickungen und gegenseitiger Druck von TÜV Süd Brasilien und dem brasilianischen Minenbetreiber führen wiederholt zu gefälschten Gutachten.
Der Fall zeigt uns damit auch: Ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz muss einen ausgebauten und funktionierende Hinweisgeberschutz integrieren. Denn es gab Mitarbeiter, die von den Gefahren der fehlenden Bausicherheit wussten. Es lagen Gutachten vor, die als Beweise dienten. Es fehlten nur die Hinweisgeber*innen, die TÜV Deutschland über die Gefahr informiert und so eventuell den Tod vieler Menschen verhindert hätten. Ein in die Lieferkettenkontrolle integriertes Hinweisgebersystem über das Arbeiter*innen informiert sind und dem sie vertrauen, kann wichtige Lücken, die von den deutschen Unternehmen unmöglich erfasst werden können, schließen.
Sorgfaltspflicht bedeutet funktionierendes Hinweisgebersystem
Als Teil des Compliance-Managements international agierender Unternehmen haben sich für solche Systeme mittlerweile eine Reihe von Standards etabliert, die Voraussetzung für die Funktionalität sind. Demnach müssen Arbeiter*innen entlang der Lieferkette umfassend über ihre Meldemöglichkeiten informiert sein, ihnen muss glaubhaft Schutz vor Benachteiligung zugesichert werden, der Zugang muss einfach und verständlich sein und die Systeme müssen die Möglichkeit der Anonymität bieten. Die Sicherung solcher Standards muss gesetzlich vorgegeben werden, damit die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nicht durch mangelhafte Umsetzung unterlaufen werden können.
Aufwand ist angemessen
Eine gesetzliche Regelung wird nur Großunternehmen betreffen, von denen die meisten bereits entsprechend aufgestellt sind (79 % gaben beim Monitoring des NAP an, bereits über ein eigenes Beschwerdeverfahren zu verfügen), und die auf Grund der EU-Whistleblowing-Richtlinie ohnehin in den kommenden Jahren ein Hinweisgebersystem werden einführen müssen. Daher beschränkt sich der Aufwand darauf, in diesen Systemen sprachliche, kulturelle und technische Barrieren zu reduzieren und entlang der Lieferkette über den Zugang zu informieren. Da in den vergangenen Jahren Hinweisgeber*innen mehr als ausreichend bewiesen haben, wie wichtig sie für die Aufdeckung von Missständen sind und zudem oft keine anderen Wege existieren, direkt aus Zuliefererunternehmen relevante Informationen zu erhalten, erscheint dies mehr als verhältnismäßig und zumutbar. Umgekehrt kann bei Nicht-Erfüllen solcher Compliance-Standards von mangelnder Sorgfalt gesprochen werden.
Haftungsklausel und Umweltschutz
Wer ausreichend präventiv arbeitet, wer seine Lieferkette überprüft und Möglichkeiten schafft, dass Verstöße gehört werden, kommt seiner Sorgfaltspflicht nach. Doch im Ausnahmefall sollte die Möglichkeit geschaffen werden, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen. Zumal die Haftungsrisiken gemäß bisherigen Überlegungen sehr überschaubar sind, wie die Initiative Lieferketten hier zeigt. Zudem sollte sich ein Lieferkettengesetz nicht auf menschenrechtliche Sorgfalt beziehen. Im Jahr 2020 sollte längst klar sein, dass Umweltschutz nicht nur genauso wichtig wie der Menschenschutz ist, es ist die Grundlage dafür. Wir leben alle auf demselben Planeten, unsere Lieferketten sind schon lange zusammengewachsen, es ist Zeit, dass es die Verantwortung auch tut.