Wenn Whistleblower mit Informationen an die Öffentlichkeit gehen, so sind dies oft Informationen deren Veröffentlichung andere lieber verhindern wollen – dies gilt natürlich auch, vielleicht sogar erst Recht, im Internet. „Zensur im Internet“, das Thema der juristischen Promotion von Ansgar Koreng aus dem Jahre 2009, ist also auch ein Thema für Whistleblower. Darin macht Koreng, was Juristen eigentlich immer tun sollten, leider aber allzu oft versäumen: er misst einfaches Recht und Rechtspraxis an der Verfassung und den in ihr verkörperten Grundrechten und Grundentscheidungen für einen freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat.
Dabei legt der Autor zunächst zutreffend dar, dass Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes heute als einheitliche Medienfreiheit verstanden werden muss, die dortige Aufzählung also als lediglich beispielhaft zu verstehen ist. Dies gilt nach Koreng aber nur für den Abwehrgehalt während der auch nach herrschender Meinung aus dem gleichen Satz folgende Gewährleistungsgehalt auf Angebote bezogen werden sollte, die „tatsächlich über eine besondere Meinungsmacht verfügen bzw. bei denen eine solche monopolartige Entwicklung droht.“ Letztere können, allerdings nur soweit dies zur Sicherung der Pluralität nötig ist, einer Regelung unterzogen werden. Dies wird überzeugend aus dem für eine Demokratie konstituierenden freien und öffentlichen Diskurs – aus dem ja auch die vom Gesetzgeber bisher leider missachtete Notwendigkeit zur Ermöglichung von – zumindest gesellschaftlich wichtigem Whistleblowing folgt – hergeleitet. Jener „wird nicht allein durch die Abwesenheit staatlicher Eingriffe, sondern wo nötig, auch durch das Vorhandensein staatlicher Vielfaltsicherung geschützt“ und muss im Internetzeitalter, vor dem Hintergrund von Netzneutralität, auch Access- und Content-Provider schützen.
Zutreffend analysiert Koreng auch die Quelle der derzeit national wohl größten Bedrohung der Meinungsfreiheit: Private, die mit Hilfe des staatlichen Rechtssystems „versuchen negative Kritiken und Berichte zeitnah zu entfernen und somit das Aufkommen negativer öffentlicher Meinungen und Stimmungen zu unterdrücken.“ Der Autor verweist insoweit auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte und fordert letztlich der Meinungs- und Medienfreiheit, aber vor allem dem Zensurgebot aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 3 GG, stärkere Geltung zu verschaffen.
Mit, allerdings nicht hinreichend ausführlich dargestellter Begründung, nimmt Koreng an, dass die Sperrung von Internetseiten aus dem Ausland gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot verstoße, soweit kein „genuine link“ oder ein Dispens vorliege. Weiterhin wendet er sich gegen DNS-Poisoning – als unverhältnismäßiges Mittel – und Webseitensperrungen bei denen der Staat auf Kommunikationsdaten der Provider zugreift – weil insoweit das Zitiergebot nach Artikel 10 GG i.V.m. Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG im einfachen Recht missachtet worden sei.
Besonders interessant sind die Ausführungen Korengs zum Zensurverbot selbst, welches nach der Auslegung der gegenwärtig herrschenden Meinung nur staatliche Vorzensur ausschließen soll und damit eines relevanten Anwendungsbereichs fast völlig beraubt wird. Demgegenüber will der Autor mit sehr überzeugenden Argumenten das Zensurverbot als Verbot jeden präventiven also gleichsam polizeilichen Tätigwerdens gegen Kommunikationsinhalte verstanden wissen. Mit dem Zensurverbot habe der Verfassungsgeber sich dafür entschieden, Meinungen erst einmal eine Teilnahme am öffentlichen Diskurs zu gestatten, um jenen überhaupt erst zu ermöglichen. Jeder der gegen Meinungen vorgehen will sei somit auf ein repressives Vorgehen verwiesen. Dies gelte mittels Drittwirkung auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten. Für ein präventives Tätigwerden sähe das Grundgesetz demgegenüber nur den Weg über Artikel 18 Absatz 1 GG vor. Konkret folgert Koreng daraus und aus der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte z.B. auch eine „Verfügungsfestigkeit“ der Medienfreiheit, der zu Folge eine zensierende Entscheidung ohne öffentliche mündliche Hauptverhandlung – wie sie Gerichte heutzutage gerne erlassen – gegen das Grundgesetz verstößt.
Insgesamt ist das Buch von Koreng gut lesbar und auch lesenswert und bietet viele gute Anregungen. Vielleicht greift jemand einige davon ja auch einmal für eine entsprechende Analyse der (Dritt-)Wirkungssteigerung auch von Artikel 17 des Grundgesetzes auf.
Koreng, Ansgar: Zensur im Internet — Der verfassungsrechtliche Schutz der digitalen Massenkommunikation; ISBN: 9783832954659; 2010