Zwei Jahre Hinweisgeberschutzgesetz – Warten auf höchstrichterliche Entscheidungen.

Whistleblowing ist nach wie vor eine Gratwanderung mit hoher Absturzgefahr
Ein Fall von Whistleblowing im VW-Konzern zeigt, wie sehr es dem Hinweisgeberschutzgesetz an Rechtsklarheit fehlt. Seine vielen unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln bedürfen dringend der höchstrichterlichen Klärung. In dem am 24.6.2025 vor dem Arbeitsgericht Braunschweig verhandelten Fall sind zwei Whistleblower mit ihrer Klage gegen den VW-Konzern unterlegen. Sie werden nach Auskunft ihres Anwalts in Berufung gehen.

Whistleblower-Netzwerk (WBN) hat von Anfang an auf die fehlende Rechtssicherheit für Whistleblower hingewiesen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes häufen sich die Anfragen bei unserem Beratungsteam. Whistleblower, die Missstände melden wollen und versuchen, sich ohne anwaltliche Unterstützung am noch neuen Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) zu orientieren, sind ratlos und auf Hilfe angewiesen.

Hinweise auf gesundheitsgefährdende Stoffe und lückenhafte Dokumentation
Die beiden VW-Manager arbeiten in einer Abteilung, die nach dem Abgas-Skandal von 2015 zur internen Aufklärung eingerichtet wurde. Sie entdeckten krebserregende Stoffe (Benzol, Styrol, Formaldehyd) in den Kunststoffdächern der Modelle Grand California und Crafter. Außerdem entdeckten sie nach eigenen Angaben zu 25% unvollständige Materialdatenblätter, obwohl deren korrekte Führung gesetzlich vorgeschrieben ist. Ihre internen Meldungen gegenüber Vorgesetzten bis hin zum Aufsichtsratsvorsitzenden führten nach Angaben der Manager nicht dazu, dass angemessene Abhilfe geschaffen wurde. Vielmehr wurden sie „kaltgestelt“, ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und ihnen die Beförderung verweigert. Das wurde vom Prozessbevollmächtigten des VW-Konzerns bestritten. In wesentlichen Punkten stand Aussage gegen Aussage, ohne dass von Seiten des Gerichts der Versuch einer Klärung unternommen worden wäre.

Die Kläger forderten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Arbeitsgericht Braunschweig wies ihre Klage als unbegründet und unzulässig ab. Über den Sachverhalt und die Verhandlung berichtete die Braunschweiger Zeitung.

Die Urteilsbegründung erfolgte kurz nach Ende der Verhandlung mündlich. Bis zur schriftlichen Vorlage stehen alle Fragen, die sich daraus ergeben, unter Vorbehalt.

Fallen Meldungen, die vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetz erstmalig abgegeben wurden und danach andauernde Repressalien zur Folge haben, in den Schutzbereich des Gesetzes?
Das HinSchG trat am 2.7.2023 nach langjährigem politischem Hickhack in Kraft. Die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie hätte aber bereits zum 17.12.2021 erfolgen müssen. Die Verspätung kostete den deutschen Steuerzahler 16 Millionen Euro, nachdem die Europäische Kommission die Bundesregierung wegen der nicht-fristgerechten Umsetzung erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt hatte. Die zwei VW-Manager kostete die Verspätung womöglich den rechtlichen Schutz als Whistleblower, weil sie Missstände und Rechtsverstöße in ihrem Arbeitsumfeld bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes erstmalig gemeldet hatten. Zur Begründung der Klageabweisung sagte der Vorsitzende Richter laut Braunschweiger Zeitung; „dass die Hinweise der Kläger vor dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes im Juli 2023 erfolgt seien und daher kein Anspruch im Sinne des Gesetzes besteht.“ Der Kläger-Anwalt hatte entgegengehalten, dass auch nach Inkrafttreten des Gesetzes Meldungen wiederholt und Repressalien fortgesetzt wurden.

Welche internen Meldewege müssen Hinweisgeber zwingend benutzen, wenn im Unternehmen überkommene und neue Kanäle nebeneinander bestehen?
VW hat als Konsequenz aus seinem Abgas-Betrug, der erst 2015 bekannt wurde und Aktionäre und Steuerzahler bisher mindestens 30 Milliarden Euro gekostet hat, ein „Aufklärungsoffice“ eingerichtet. Dort sollen Missstände intern und zeitnah gemeldet werden, damit umgehend Abhilfe geschaffen werden kann und sich das Desaster von 2015 nicht wiederholt. Wenn Missstände aber nicht auf diesem, sondern auf einem anderen internen Wege der Konzernleitung zur Kenntnis gebracht werden, scheint deren Interesse gering. Es kann schlimme Folgen für Hinweisgeber haben, wenn sie sich nicht an die offizielle interne oder externe Meldestelle wenden. Die Meldung fällt dann womöglich nicht in den Schutzbereich des HinSchG.

Die beiden Whistleblower hatten sich mit ihren Meldungen anfangs an ihre Vorgesetzten und später an Behörden gewandt, die sie für zuständig hielten. Sie hätten sie sich auch gleich an die gesetzlich vorgesehene externe Meldestelle wenden können. Davon aber rät das Gesetz gerade ab. Die beiden Kläger haben sich als Whistleblower im wohlverstandenen Eigeninteresse des Konzerns ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal verhalten. Wie aber steht es bei VW mit den angeblichen Lehren aus dem Abgasbetrug?

Entspricht die Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Rechtsverstöße der Absicht der EU-Whistleblowing-Richtlinie?
Viele aus Gründen von Umwelt- und Gesundheitsschutz vorsorglich vorgeschriebene Standards sind (noch) nicht gesetzlich verankert. Bei den gemeldeten Missständen handelt es sich um eine massive Gefährdung menschlicher Gesundheit durch die Verletzung solcher Standards sowie die gesetzlichen Dokumentationspflichten des Konzerns. Im Zusammenhang damit wurden nach Auskunft des Kläger-Anwalts auch Rechtsverstöße gegen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und § 400 Aktiengesetz gemeldet. Der Vorsitzende Richter ging darauf nicht ein. Er stellte in Frage, dass die gemeldeten Missstände oder Verstöße überhaupt in den Anwendungsbereich des HinSchG fielen. Auf welche Meldungen er sich dabei bezog, blieb, wie so Vieles im Laufe der Verhandlung und der Urteilsbegründung, unklar.

Man darf auf die schriftliche Urteilsbegründung gespannt sein.

Kontakt:
WBN – Whistleblower-Netzwerk e.V.
Annegret Falter, Vorsitz
falter@whistleblower-net.de
Tel.: +49 170 2965660

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