Cum-Ex, Wirecard, Panamapapers, Rechtsextreme bei der Bundeswehr, Kieler Rockeraffäre, missbräuchliche Personenabfragen von hessischen Polizeicomputern: erst dank medialer Berichterstattung wurden in diesen Whistleblowing-Fällen Täter*innen zur Rechenschaft gezogen und politische Konsequenzen folgten. Zuvor hatten organisationsinterne Hinweise keine Auswirkungen. Als journalistische Quellen besitzen Whistleblower*innen eine wesentliche Bedeutung für die Kontrollfunktion der Medien in demokratischen Gesellschaften.
Halbzeit bei der Umsetzung der EU-Richtlinie
Um dieser gesellschaftlichen Rolle Rechnung zu tragen, hat die Europäische Union im Oktober 2019 eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie) verabschiedet. Sie fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, innerhalb von zwei Jahren auf nationaler Ebene für einen umfassenden und kohärenten Rahmen für den Hinweisgeberschutz zu sorgen. Bis spätestens Ende 2021 müssen die Mitgliedsstaaten im Rahmen der sogenannten Transpositionsphase die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Die Gültigkeit der Richtlinie beschränkt sich zwar auf Unionsrecht, da die EU nur dort Rechtsetzungskompetenz besitzt. Der europäische Gesetzgeber ermutigte jedoch die Mitgliedstaaten explizit den Anwendungsbereich bei der Umsetzung der Richtlinie auf nationale Regelungsbereiche auszudehnen (Erwägungsgrund 5 der Richtlinie; Artikel 2 (2)).
Doch anstatt nun über eine Umsetzung zu diskutieren, die umfassende Rechtssicherheit für Whistleblower*innen schafft und darüber hinaus freie Meinungsäußerung und investigativen Journalismus ermöglicht, streiten sich die verantwortlichen Ministerien über die Frage der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nationales Recht. Dabei ist eine fachliche Diskussion über einen umfassenden Whistleblowerschutz, einschließlich Regelungen zum öffentlichen Whistleblowing, dem Umgang mit Verschlusssachen sowie über zeitgemäßen digitalen Quellenschutz überfällig. Ein erster Gesetzesentwurf, der bis Ende des Jahres erwartet wird, sollte mit Blick auf Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit die folgenden Punkte diskutieren.
Wir fordern: Ausweitung des Anwendungsbereichs
Das federführende Justizministerium (BMJV) hatte im April 2020 im Rahmen der Ressortabstimmung ein „Eckpunkte“-Papier ans Wirtschaftsministerium (BMWi) weitergeleitet (Whistleblower-Netzwerk berichtete). Dort wurden grundsätzliche Überlegungen des BMJV kommentarlos gestrichen oder in ihr Gegenteil verkehrt. Anders als das BMJV plädiert das BMWi für eine „Eins-zu-eins-Umsetzung“ und damit eine Beschränkung des Whistleblowingschutzes auf Meldungen von Verstößen gegen bestimmtes Unionsrecht. Ohne juristische Kenntnisse könnten Whistleblower*innen dann allerdings schwer beurteilen, ob ein Hinweis unter die in der Richtlinie genannten EU-Rechtsbereiche oder unter nationales Recht fällt. Das Risiko einer Fehleinschätzung und rechtlicher Folgen würde potenzielle Hinweisgeber*innen verunsichern und abschrecken. Rechtsstreitigkeiten wären vorprogrammiert und eine zusätzliche Belastung für die unternehmensinternen Rechtsabteilungen sowie die Justiz.
Wir fordern: Vorrang für die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit
Die Richtlinie stellt es Whistleblower*innen frei, ob sie sich zuerst an eine unternehmens- bzw. verwaltungsinterne Stelle wenden oder Informationen direkt an eine externe Behörde weitergeben. Decken Whistleblower*innen Verstöße jedoch direkt gegenüber Medien oder der Öffentlichkeit auf, so sind sie nur unter deutlich eingeschränkteren Bedingungen geschützt. Würden sich diese Bedingungen so in der nationalen Gesetzgebung wiederfinden, wären in einer Vielzahl von Fällen, darunter die eingangs genannten, Whistleblower*innen als journalistische Quellen nicht geschützt.
Freie Meinungsäußerung sollte vor anderen geschützten Interessen Vorrang haben, solange eine Offenlegung nicht leichtfertig und nicht wider besseres Wissen erfolgt und sofern sie eine das öffentliche Interesse wesentlich berührende Frage betrifft. Schon die Entscheidung, Journalist*innen zu kontaktieren, die qua Beruf erhaltene Informationen überprüfen und einordnen können, sollte als Zeichen für nicht leichtfertiges Whistleblowing gewertet werden. Wird bei der Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie die Möglichkeit, sich an Medien zu wenden, zu sehr eingeschränkt, so behinderte dies journalistische Arbeit. Ein Vorrang für die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit sollte im Einklang mit dem 2019 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) stehen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den hier verankerten Schutz von Offenlegungen zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien.
Wir fordern: Keine pauschale Ausnahme für Verschlusssachen
Die Europäische Union überlässt Regelungen mit Bezug zu Verschlusssachen den Mitgliedsstaaten (Art. 3). Doch die Vermutungsregel für den Vorrang der Meinungsfreiheit vor anderen schützenswerten Interessen muss auch und insbesondere für Beamt*innen und Angestellte des öffentlichen Dienstes gelten. Sie darf hier nicht durch pauschale Bereichsausnahmen ausgehebelt werden. Die Sicherung durch Geheimhaltungsstufen darf kein Grund sein, Informationen über Missstände – besonders, wenn diese Grundrechte und das öffentliche Interesse betreffen – unter Verschluss zu halten. Um das Verhältnis von nationaler Sicherheit und öffentlichem Interesse auszubalancieren, sollten die „Tshwane-Prinzipien zur Nationalen Sicherheit und dem Recht auf Information“ in Betracht gezogen werden.
Wir fordern: Digitalen Quellenschutz auf Whistleblower*innen anwenden
Durch die Möglichkeiten der digitalen Überwachung ist die Vertraulichkeitsbeziehung von Journalist*innen und Quellen unter Druck. Um die Rechte zum Schutz journalistischer Arbeit und des Quellenschutzes nicht mittels digitaler Ermittlungsmethoden aushöhlen zu können, genießen Journalist*innen bei sogenannten verdeckten Maßnahmen zwar einen relativen Schutz (§ 160a StPO). Nur wenn im Einzelfall das Strafverfolgungsinteresse des Staates den Schutz der Pressefreiheit überwiegt, dürfen Medienschaffende verdeckt überwacht werden. Geraten Ermittler*innen jedoch an Daten über Hinweisgeber*innen, dann dürfen sie diese auch verwerten, selbst wenn die Betroffenen zum Beispiel mit Journalist*innen oder Anwält*innen in Kontakt standen. Der Schutz, der für diese sogenannten Berufsgeheimnisträger*innen gilt, bleibt den Quellen verwehrt. Hier entstand durch die Ausweitung digitaler Ermittlungsmethoden eine Schutzlücke im Hinblick auf den eigentlich gewährleisteten Schutzstatus (§53 Abs. 1 S.1 Nr.5 StPO). Dies sollte im Rahmen der Umsetzung der Whistleblowing-Richtline adressiert werden. Personen, die verdächtigt werden, Hinweisgeber*innen der in §160a genannten Berufsgeheimnisträger*innen zu sein, sollten die gleichen Schutzrechte wie die Berufsgeheimnisträger*innen selbst genießen, wenn die Voraussetzungen des §160a Abs.2 i.V.m. §53 Abs.1 S.1 Nr.5 StPO erfüllt sind. Nur so kann das Vertrauensverhältnis gesichert werden. Eine Strafverfolgung bleibt so im Grundsatz möglich, im Sonderfall des „publizistischen Whistleblowings“ wird jedoch die besondere Bedeutung der Informant*innen für die Arbeit der Presse berücksichtigt.