Whistleblower-Netzwerk e.V. fordert die letztinstanzliche Überprüfung von zwei Urteilen des Europäischen Gerichts (EuG), die mit nicht nachvollziehbarer Begründung einem Beamten das – genehmigungspflichtige – Recht auf Meinungsfreiheit verwehren und damit Transparenz innerhalb der EU-Institutionen verhindern.
Deutsche Beamte dürfen, anders als EU-Beamte, bestimmte Korruptionsstraftaten direkt an die Staatsanwaltschaft melden. Für die Anzeige aller anderen Straftaten gilt auch in Deutschland nach wie vor das Amtsgeheimnis. Beamte brauchen eine Genehmigung, wenn sie dienstliche Umstände öffentlich machen oder hierzu Strafanzeigen erstatten wollen. Für EU-Beamte gilt dies sogar ohne Ausnahme.
Guido Strack ist Beamter der EU-Kommission. Im Jahre 2002 meldete er seinen Verdacht auf finanzielle Unregelmäßigkeiten und eventuelle Straftaten in seinem beruflichen Umfeld an OLAF, die interne Betrugsbekämpfungsbehörde der EU-Kommission. Zwei Jahre später erhält er einen Einstellungsbeschluss, der zwar keine von Stracks Anschuldigungen in Zweifel zieht, das Handeln von Stracks Vorgesetzten aber ohne Prüfung einer einzigen Rechtsnorm unter den gegebenen Umständen für zulässig erklärt.
Stracks Versuch sich gerichtlich dagegen zu wehren, scheitert. Ihm wird, obwohl er zur Anzeige an OLAF verpflichtet war, keine Klagebefugnis zuerkannt deren Ermittlungsergebnisse gerichtlich überprüfen zu lassen. Die von ihm eingeschalteten anderen zuständigen EU-Institutionen unterlassen jede inhaltliche Stellungnahme zu Stracks ausführlichem Rechtsgutachten, in welchem er – Prädikatsjurist mit Masterdiplom – OLAFs schwerwiegende Versäumnisse aufzeigt.
Daraufhin will Strack, als letztes Mittel, unabhängige Instanzen außerhalb der EU-Institutionen einschalten und sich an die Öffentlichkeit und nationale Staatsanwaltschaften wenden. Hierzu beantragt er die erforderliche Genehmigung. Er reicht bei der EU-Kommission eine CD ein, die sein Rechtsgutachten und viele weitere Belege zum Fall enthält. Aber der EU-Kommission ist dies nicht bestimmt genug, sie will wissen, wo Strack dies veröffentlichen will und fordert zusätzlich eine Auflistung der auf der CD enthaltenen Dokumente. Strack liefert die Liste, nennt als Adressaten die Strafverfolgungsbehörden und als Ort der Veröffentlichung das Internet. Als die Kommission immer noch keine Genehmigung erteilt, ja, noch nicht einmal in eine Prüfung der Genehmigungsfähigkeit der Dokumente eintritt, klagt Strack. Es ist Herbst 2007.
Am 13.12.2012 bestätigt das Europäische Gericht (EuG) das Urteil der ersten Instanz, wonach Stracks Antrag zu „unbestimmt“ gewesen sei, um von der EU-Kommission inhaltlich entschieden zu werden. Es fordert, er hätte zu jedem Dokument weitere Angaben machen und sich auch spezifischer dazu äußern müssen, warum er welches Dokument wie und wo genau veröffentlichen wolle.
Die EU-Gerichte generieren damit nachträglich Anforderungen, die die Kommission selbst zuvor von Strack nicht verlangt hat. Sie tun dies auch ohne gesetzliche Grundlage. Im einschlägigen Artikel 17 des EU-Beamtenstatuts steht nichts von diesen Bestimmtheitsanforderungen.
Wir fassen zusammen: Strack will – teils von ihm selbst verfasste – Schriftstücke nationalen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen und im Internet veröffentlichen. Er kopiert die Dokumente auf eine CD und ersucht die Kommission um Genehmigung. Die Kommission verlangt – rechtlich jedenfalls nicht vorgeschriebene – zusätzliche Auflistungen, die Strack erstellt. Doch auch danach verweigert die Kommission weiter die inhaltliche Entscheidung über den Genehmigungsantrag. Schließlich klagt Strack. Die EU-Gerichte der ersten und zweiten Instanz beziehen sich in ihren Urteilen nun auf gänzlich neue, weitergehende Anforderungen an spezifische Angaben, die Strack zu jedem Dokument hätte machen müssen, damit die Kommission überhaupt in die Prüfung hätte eintreten können (etwa eine „Zusammenfassung“ der Dokumente – sic!).
Dies lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass EU-Beamte sich auf die Kunst der Telepathie verstehen müssen, wenn sie eine Genehmigung für eine Veröffentlichung/Strafanzeige zu Vorgängen innerhalb der EU-Institutionen erhalten wollen. So lassen Kommission und Gerichte Informanten ins Leere laufen. Auf der Strecke bleiben Meinungsfreiheit und Transparenz.
Whistleblower-Netzwerk e.V. steht dieser absurden Rechtsprechung mit Unverständnis gegenüber und sieht darin klare Verstöße gegen die Artikel 6 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Nach Art. 10 EMRK sind nur solche Einschränkungen der Meinungsfreiheit zulässig, die in einer demokratischen Gesellschaft gesetzlich vorgeschrieben und zwingend notwendig sind. Davon kann hier keine Rede sein. Der Verein fordert den Ersten Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs daher auf, dieses Urteil und ein weiteres, welches in einem Parallelverfahren nach gleichem Muster erging (hier geht es darum, dass Strack der Zugang zu ihn selber betreffenden Dokumenten entgegen Artikel 8 der EMRK verweigert wurde), dem Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorzulegen. Diese einzig verbliebene Möglichkeit zur Abänderung beider Urteile auf EU-Ebene sollte nicht versäumt werden. Geschieht dies nicht, so kündigt das Netzwerk an, wird es Strack im Gang nach Straßburg unterstützen.
Menschenrechte müssen universal gelten und durchsetzbar sein. Auch für Beamte der EU und anderer internationaler Organisationen. Wenn sie Unterstützung darin finden unlautere Machenschaften und Rechtsbrüche ihrer Institutionen aufzudecken und mehr Transparenz herzustellen, kann das deren Glaubwürdigkeit und Verantwortlichkeit nur förderlich sein.
Anders als es auch die neu erlassenen Whistleblower-Richtlinien der EU-Kommission vorsehen, muss eine wirklich unabhängige Kontrolle von außerhalb der EU-Institutionen und durch die Öffentlichkeit möglich sein. Whistleblower müssen einklagbare Rechte haben und sind vor Diskriminierung zu schützen. Geschieht dies nicht, wird nur der Eindruck bestätigt, dass in den EU-Institutionen eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.