Genau 200 Tage Zeit hat die Bundesrepublik dann noch, um ihr 2010 gegenüber den anderen G20 Staaten gegebenes Versprechen zu halten, bis Ende 2012 einen internationalen Standards entsprechenden, gesetzlichen Whistleblowerschutz auch in Deutschland einzuführen und umzusetzen.
Bei der letzten Debatte im Plenum im September 2011 hatten sich die Koalitionsfraktionen noch darauf zurückgezogen, eine OECD Studie abwarten zu wollen. Diese liegt seit November 2011 vor und bescheinigt Deutschland unzureichenden Schutz und eine unklare Rechtslage. Potentielle Whistleblower können hierzulande nicht abschätzen, wie Gerichte später ihren Fall beurteilen werden, ob sie vor Mobbing und Arbeitsplatzverlust geschützt werden oder nicht. Die Folge: Menschen, die Missstände am Arbeitsplatz beobachten, werden abgeschreckt darauf hinzuweisen. Stattdessen schweigen sie und die Missstände – gleich ob Korruption, lasche Sicherheits- und Umweltstandards oder gefährliche Behandlungen und Pflege – bestehen fort und eskalieren weiter.
Schon im Mai 2011 hatte Whistleblower-Netzwerk einen eigenen Gesetzesentwurf dazu vorgelegt, wie öffentliche Interessen durch Förderung von Whistleblowing und besseren Whistleblowerschutz besser gewahrt werden können. Im Bundestag forderte die Linksfraktion die Bundesregierung im Juli 2011 zur Vorlage eines Gesetzentwurfes auf. Unmittelbar danach verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland wegen Verletzung der Meinungsfreiheit einer Berliner Altenpflegerin, die nach Hinweisen auf Pflegemissstände gekündigt worden war. Im Februar 2012 brachte die SPD-Fraktion einen Entwurf für ein eigenständiges Whistleblowing-Gesetz in den Bundestag ein, der in einer Bundestagsanhörung von vielen Experten begrüßt wurde. Nach einer öffentlichen Konsultation hat nun auch die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen einen Gesetzentwurf eingebracht, dessen erste Lesung am Donnerstag das Plenum beschäftigen wird.
Bündnis90/Die Grünen wollen gutgläubige Whistleblower aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor durch Änderungen in bestehenden Gesetzen besser vor Repressalien zu schützen. Sie knüpfen an die bisherige Rechtsprechung an und verpflichten Whistleblower, sich auch zukünftig in der Regel zunächst an den Arbeitgeber oder interne Stellen wenden zu müssen. Allerdings sollen die Ausnahmen von diesem Grundsatz ausgeweitet werden. So sollen z.B. Strafanzeigen auch ohne vorherige interne Meldung möglich sein, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte gutgläubig vom Vorliegen einer Straftat ausgeht, wobei er seine Gutgläubigkeit insoweit auch nicht mehr selbst beweisen muss. Auch sonstige Motive des Whistleblowers sollen zukünftig unbeachtlich sein. In Ausnahmefällen, bei überwiegendem öffentlichem Interesse, wollen die Grünen eine direkte Information der Öffentlichkeit zulassen. Außerdem enthält der Vorschlag auch eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Beamten beim Nachweis von Repressalien.
Nach Meinung des Whistleblower-Netzwerks gehen die Vorschläge von SPD und Bündnis90/Die Grünen trotz gewisser Schwächen in die richtige Richtung. Durch deren sinnvolle Kombination könnte Deutschland internationalen Standards entsprechen. Das Netzwerk fordert die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf, ihr international gegebenes Wort zu halten und ihre Verweigerungshaltung gegenüber effektivem Whistleblowerschutz endlich aufzugeben.