Nachfolgend dokumentieren wir die Rede die Annegret Falter (Mitglied der Jury von VDW und IALANA, die Bradley Manning den Whistleblowerpreis 2011 verliehen hat) am letzten Samstag anlässlich der Kundgebung für Bradley Manning vor der US-Botschaft in Berlin gehalten hat:
Bradley Manning steht in diesen Tagen zum ersten Mal vor Gericht. Nach 18 Monaten Haft in Militärgefängnissen.
Warum ? Was hat Bradley Manning getan?
Der US-Soldat soll geheime Dokumente der US-Regierung an Wikileaks gegeben haben. Aus ihnen konnte man erfahren, dass US-Soldaten im Irak mit Hubschraubern Jagd auf Zivilisten gemacht haben; es wurden weitere schockierende Einzelheiten über den menschenrechtswidrigen Umgang mit Gefangenen in Guantanamo bekannt; man erfuhr von geheimen völkerrechtswidrigen Absprachen zwischen Regierungsvertretern weltweit. Da tauchen sie alle auf: von A wie Arabische Emirate bis Z wie Zimbabwe.
Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, Mannings oberster Befehlshaber, hatte vor Amtsantritt gesagt, dass er seine Regierung auf »einen beispiellosen Grad der Offenheit« und die Errichtung »eines Systems der Transparenz und öffentlichen Teilhabe« verpflichten wollte. Er hatte auch gesagt, dass bis Juni 2012 alle Regierungseinrichtungen ihre als geheim klassifizierten Dokumente sichten und je nach dem freigeben sollten.
Das war früher. Im vergangenen Jahr wurden 77 Mio Dokumente in verschiedene Geheimhaltungsstufen klassifiziert. Gerechtfertigt oder nicht. Das bedeutete einen Anstieg von 40% gegenüber dem Vorjahr. – Es ist ja auch bequem, alle belastenden oder peinlichen Informationen zu Staatsgeheimnissen zu erklären – aber es ist das Gegenteil von vernünftigem Regierungshandeln.
Vielleicht besteht Bradley Mannings Fehlverhalten ja nur darin, dass er die Ankündigungen seines Oberbefehlshabers ernst genommen hat.
Das sieht Außenministerin Hillary Clinton allerdings anders. Sie sagte im vergangenen Jahr: „Diese Enthüllungen sind nicht nur ein Angriff auf die US-Außenpolitik, sie sind ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft. (…) Wir werden aggressive Schritte unternehmen, um jene zur Rechenschaft zu ziehen, die diese Informationen gestohlen haben.“
Das hat die US-Regierung ja nun getan.
Sie hat Bradley Manning seit eineinhalb Jahren weggesperrt – unter zeitweise folterähnlichen Bedingungen, wie namhafte US-Juristen in einem offenen Brief an ihren Kollegen, den Präsidenten Obama, geschrieben haben. Jetzt steht Manning vor einem Militärgericht, dessen Unbefangenheit Mannings Verteidiger Coombs noch vor Prozessbeginn anzweifelte.
Wenn Manning die Dokumente weitergegeben hat: Er hätte es getan für die Bürgerinnen und Bürger Tunesiens, für die Häftlinge in Guantanamo, für die Zivilisten in Irak und Afghanistan und für d i e amerikanischen Freunde, die versuchen, den zunehmenden Geheimhaltungswahn der US-Regierung einzudämmen. Denn d e r gefährdet die Rechte der Bürgerinnen und Bürger – die Informationsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, die Demokratie! Er hätte es für uns alle getan!
Darum müssen wir uns jetzt fragen: Was können w i r für ihn tun?
Was können wir, die wir hier in Berlin am Brandenburger Tor versammelt sind, was kann die Zivilgesellschaft für einen Mann tun, der tausende Meilen entfernt in einem Hochsicherheitstrakt einsitzt, militärisch abgeschirmt vor Freunden und Unterstützern. Abgeschirmt vor allem von den Medien und ihren Vertretern. Seine Haftbedingungen in Fort Leavensworth wurden nach massiven Protesten aus dem In-und Ausland und der UN ein wenig erleichtert. Es wurden nach einem komplizierten Verfahren einige Besucher zugelassen. Journalisten werden es nach wie vor nicht.
Was also kann man für Bradley Manning tun?
Man kann zeigen, dass und warum die Informationen, die er an Wikileaks gegeben haben soll, für Menschen auf der ganzen Welt wichtig sind. Nicht alle. Aber viele. Etwa 250.000 Dokumente wurden inzwischen veröffentlicht. Der Spiegel hatte ein Vierteljahr lang 50 Redakteure an die Auswertung gesetzt. Der Guardian, Le Monde, El Pais – die können das. Können sich das leisten, haben die Leute. Wikileaks konnte es nicht. Und Bradley Manning schon gleich gar nicht. Folgt daraus, dass Manning, dass Wikileaks die Finger von der ganzen Sache hätte lassen müssen? Weil es für Einzelne unmöglich ist, 250.000 Dokumente zu prüfen unter Gesichtspunkten wie Persönlichkeitsschutz und öffentliche Relevanz?
Die US-Regierung greift Wikileaks mit diesem Argument seit Jahren massiv an. Sie wirft Julian Assange und nun Bradley Manning vor, militärisches Personal und die nationale Sicherheit der USA zu gefährden sowie ausländischen Geheimdiensten und Terroristen in die Hände zu arbeiten. „To help the enemy“ – darauf steht schlimmstenfalls die Todesstrafe. Ein Nachweis wurde bisher nicht geführt. Im Gegenteil. Der damalige Verteidigungsminister Gates gab Mitte Oktober 2010 offiziell zu, dass die Veröffentlichung von „70.000 Geheimdokumenten des Pentagon aus Afghanistan … keinen nennenswerten Schaden angerichtet hat. So seien keine Informanten in den Dokumenten enttarnt worden.“
Darum kann es also nicht wirklich gehen. Worum dann? Wohl eher darum, die Informationen und die Deutungshoheit der Regierung zu sichern. Es geht darum, an Bradley Manning ein Exempel zu statuieren. Es geht darum, potentielle Whistleblower einzuschüchtern und abzuschrecken. Keiner schlage mehr Alarm!
Wir alle sollen unsere Nase nicht in Herrschaftsgeheimnisse stecken. Wir alle sollen den Mund halten. Wir alle sollen die Finger von geheimen Dokumenten lassen!
Genau das werden wir n i c h t tun. Es stehen jetzt 250.000 Dokumente im Netz. Die Vorhut des globalen investigativen Journalismus hat sie nach Scoops durchforstet. Allerdings hat der „Spiegel“ andere Auswahlkriterien als wir – auch Verkaufskriterien. Dafür mag diplomatischer Klatsch und Tratsch relevant sein.
Jetzt aber sollten w i r weitersuchen. Die Obama-Administration besteht darauf, dass die im Internet veröffentlichten „geheimen“ Dokumente weiterhin geheim zu halten seien. Regierungsbeamten ist es bei Strafe verboten, sie zu lesen oder herunter zu laden. Die US-Regierung wird ihre Gründe haben.
Viele Bürgerinnen und Bürger aber, politisch bewusste und demokratisch gesinnte Menschen werden weitersuchen und die Dokumente finden, die die demokratische Öffentlichkeit tatsächlich kennen sollte. Weil sie ein Recht darauf hat. Solche wie das Video „Collateral Murder“. Dieses Staatsgeheimnis ist ein illegales Staatsgeheimnis.
Die Menschen werden auch künftig unterschiedliche Kriterien haben, nach denen sie die Dokumente beurteilen. Sie werden auf Dinge stoßen, die sie nur vage verstehen und nicht zureichend in ihren Kontext einordnen oder gewichten können. Aber sie werden wissen oder in Erfahrung bringen, wer denn sie einordnen und auswerten kann. Dafür gibt es Netzwerke. Sie werden sie an Zeitungen schicken, an Blogs, an Internetforen und Twitter. An Greanpeace, an die IALANA, an Transparency International und das Whistelblower Netzwerk. An Truthout und Democracy Now. An Wissenschaftler und Juristen. An ihre Freunde in den USA, in Pakistan und im Kongo. Und die Menschen dort werden ihrerseits nach Enthüllungen in den Dokumenten suchen – und sie finden.
D a s können wir für Bradley Manning tun. Im öffentlichen Interesse. Für Demokratie und Gemeinwohl. Für uns.
250.000 Dokumente sind viele Dokumente. Aber wir sind auch viele.
Gebt Bradley Manning nicht dem Vergessen anheim. Sorgt vor allem dafür, dass die Regierungen ihn nicht vergessen. Denn das ist es, was diejenigen hoffen, die ihn für viele Jahre aus dem Verkehr ziehen wollen: Dass die Angelegenheit im Weltgetümmel untergeht.
Das Vergessen aber ist der größte Feind der politischen Gefangenen!
Bradley Manning darf nicht in Vergessenheit geraten. Wir sollten das nicht zulassen.
Unterdessen geht die Anhörung Mannings, wie Blogs und andere Medien berichten, weiter. Und auch von WikiLeaks gibt es Neuigkeiten, denn die haben ein Unterstützernetzwerk ins Leben gerufen.
Bitte unterstützen Sie auch http://www.freebradleymanning.de/!