Englische Bücher haben bisher selten Eingang in die Rubrik Buchbesprechung dieses Blogs gefunden. Aber dieses Buch hat es wirklich verdient. Es öffnet einem die Augen, um zu verstehen, warum wir alle vor so vielem bewusst die Augen verschließen. Es stellt mit Blicken in das Alltagsleben und in die Geschichte und mit Ereignissen aus Wirtschaft und Politik dar, wohin es führt, wenn wir wegschauen und jene (wie z.B. Whistleblower) ignorieren die rechtzeitig gewarnt haben. Aber es erklärt unter Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse, z.B. aus (Sozial-)Psychologie, Hirnforschung und Soziologie auch, warum wir es dennoch immer wieder tun und wo die Gefahren lauern.
Als solche Gefahren identifiziert Heffernan z.B.: Die Attraktivität dessen was wir kennen und was uns ähnlich ist, die uns allzu gern Kritik – in der vielleicht auch ein Stückchen Kritik an uns stecken könnte – überhören lässt. Die Liebe, die uns vergessen macht, auch gegenüber unseren Vorbilder, Muster-Organisationen und Helden einen kritischen Blick zu bewahren. Die Festigkeit unserer einmal gewonnenen Überzeugungen, deren Bestätigungen wir überall sehen, während wir ihre Schwächen lieber nicht zur Kenntnis nehmen. Die Grenzen unserer Fähigkeiten, die wir oft überschätzen, während unsere Gehirne vor allem eines tun: erfahrungsgemäß Unwichtiges, gar nicht erst in unser Bewusstsein dringen zu lassen – aber auch Erfahrungen können trügerisch sein. Erkannte Risiken, auf deren Nichteintritt wir dennoch hoffen und bei deren Anblick wir lieber den Kopf in den Sand stecken, als zu handeln. Das blinde Befolgen von Anweisungen und das konforme Mitlaufen in Gruppen, Rollen und Kulturen, bei dem wir den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen, ach so leicht vergessen. Das Zuschauen und geschehen lassen, nur weil keiner den Anfang machen will, als Erster gegen Missstände einzuschreiten. Die Diffusion von Verantwortung dank Arbeitsteilung, Spezialisierung und mit zunehmender, nicht nur räumlicher Distanz einhergehender, Globalisierung. Die Fixierung auf messbaren kurzfristigen Nutzen und Geld, bei der die Moral und die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.
Aber trotz all dieser Gefahren steckt Heffernan den Kopf nicht in den Sand. Ihr Motto lautet: „Cassandras und Whistleblower zeigen uns, dass die Kräfte, die bewusstes Wegsehen begünstigen, überwunden werden können. “ Sie rät zur Förderung von Whistleblowing und zu Mechanismen und Außenseitern die z.B. Führungskräfte und Eliten – ganz in der Tradition der Hofnarren oder des Kindes in „Des Kaisers neue Kleider“- mit der ungeschminkten Wahrheit konfrontieren. Aber Vorsicht: die beschriebenen Gefahren lauern. So sollten z.B. auch institutionalisierte Kritiker und Prüfer nicht nur unabhängig sein, sondern auch regelmäßig wechseln, damit Nähe, Sympathien und Erwartungen den kritischen und unbefangenen Blick nicht trüben.
Weiter schreibt Heffernan: „Wir dürfen uns aber dennoch nicht allein auf Außenstehende verlassen. Wir selbst müssen zwei kritische Gewohnheiten entwickeln: kritisches Denken und Mut“. Mut eingefahrene Wege zu verlassen, den Konflikt vielleicht zunächst auch nur spielerisch zu suchen, um die Angst vor ihm abzubauen; Komplexität zu hinterfragen. Nach dem zu suchen, was wir nicht sehen! „Sehen beginnt mit einfachen Fragen: Was kann ich wissen, was sollte ich wissen was ich nicht weiß? Was entgeht mir ich hier gerade?“
Dieses Buch jedenfalls, sollte man sich nicht entgehen lassen. Ein eindrucksvolles Plädoyer für Whistleblowing und einen kulturellen Wandel, der beim Einzelnen anfangen, aber nicht aufhören sollte.
Heffernan, Margaret: Wilful Blindness – Why we ignore the obvious at our peril; ISBN: 978-1-84737-770-8; 2011