Inside WikiLeaks ist wohl in aller erster Linie eine persönliche Verarbeitung einer großen Enttäuschung. Der enttäuschten Freundschaft von Daniel Domscheit-Berg zu Julian Assange. Eine Freundschaft, die geprägt war von der Hoffnung gemeinsam etwas Sinnvolles zu tun und so letztlich Erfüllung und Sinn im Leben zu finden Die Welt zu retten, statt nur an Computern rumzuschrauben, dies so schien es, war das Angebot mit dem Julian Assange, Daniel Domscheit-Berg dazu bewegte sein Leben in den Dienst von WikiLeaks zu stellen. Aber dieses Heilsversprechen erfüllte sich nicht. Am Schluss schreibt der Autor, durch das Buch habe er begriffen, dass „Enttäuschung auch auf einer ganz anderen Ebene funktioniert. Nämlich der, dass ich nun keiner Täuschung mehr erliege. Diese Art von Enttäuschung ist konstruktiv. Sie schafft ein besseres Verständnis der Realität. Ein wahrhaft ‚gutes Omen‘.“
Vielleicht kann man Domscheit-Berg sogar selbst als Whistleblower begreifen. Er sah Missstände bei WikiLeaks und wollte diese intern beheben, die Praxis der Organisation, gerade im Hinblick auf Transparenz und Rechenschaftslegung mit deren eigenen Ansprüchen in Einklang bringen. Aber er ist gescheitert. An jener Person deren „Baby“ WikiLeaks war und gegen deren Intellekt, Visionen und Persönlichkeitsstruktur er und auch einige andere bei WikiLeaks keine Chance hatten, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die Schilderung von Julian Assange, die den roten Faden des Buches bildet, zeichnet ein Gesamtbild, das sich verdammt nahe desjenigen eines Psychopathen annähert. Jedenfalls dann, wenn man sich einmal die in Wikipedia für eine solche Persönlichkeitsstruktur geschilderten Kriterien genauer ansieht. Aber anderseits: Ist A.zu stark oder war D. zu schwach? Kann man wirklich erwarten, dass jemand der gegen den Strom schwimmt lieb und brav, zuverlässig und „deutsch“ ist? Man darf gespannt sein, welche Antwort Assange in seinem demnächst erscheinenden Buch zu Thema geben wird.
Neben der persönlichen Ebene erfährt man im flüssig lesbaren Inside WikiLeaks auch die ein oder andere Neuigkeit darüber, wie WikiLeaks hinter den Kulissen wirklich funktionierte. Mehr Schein als Sein wäre da wohl, zumindest für die ersten Jahre eine zutreffende Beschreibung. Heute, nach dem Weggang von Domscheit-Berg und seinen Getreuen soll seiner Aussage nach WikiLeaks technisch wieder auf den früheren Stand zurückgeworfen sein. Der Architekt – einer der Getreuen von Domscheit-Berg, der sich mit ihm jetzt bei OpenLeaks engagiert – war das TechBrain hinter der Hochzeit von WikiLeaks und ohne ihn läuft da nicht mehr viel, so lautet die Botschaft.
Aus Sicht einer Whistleblower-Organisation ist bedauerlich, dass sich das Buch dem Thema Whistleblowing allenfalls am Rande widmet. Auf S. 277, also kurz vor Schluss, findet sich folgende Passage:
„Die Prominenz von WikiLeaks (vor allem von Julian, aber auch die unserer Arbeit) hat das Thema Whistleblowing endlich salonfähig gemacht. Ob es ein Recht auf Geheimhaltung gibt oder ob gewisse Dinge nicht von Whistleblowern ans Licht gebracht werden müssen – diese Fragen sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Der Hype von WikiLeaks hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen. Trotzdem ist es an der Zeit, ihn zu überwinden, um sich auf die wirklich wichtigen Themen und Inhalte konzentrieren zu können. Man darf sich nicht täuschen lassen, weder von bunten Magazinstories noch von großbuchstabigen Titelzeilen: Viele gute Artikel und Berichte zu den Leaks wurden weniger wahrgenommen als die persönlichen Verstrickungen der Beteiligten.“
All dem ist zuzustimmen. Es stellt sich nur die Frage, warum dass Buch selbst dann genau jene Akzente setzt, die hier kritisiert werden? Wo sind die Antworten auf die Frage welche Geheimhaltung sinnvoll ist? Wo steht, dass es immer möglich sein muss staatliche Stellen über Rechtsbrüche zu informieren, dass es möglich sein muss sich an die Öffentlichkeit zu wenden wenn diese dennoch untätig bleiben, Dass eine Rechtsordnung ihren Bruch nicht als Geheimnis schützen darf. Dass Demokratie weitestgehende Transparenz des Handelns aller öffentlicher Gewalt bedarf und diese im 21.Jahrhundert in Form von OpenData und OpenGovernment und nicht nur – aber auch – durch Informationsfreiheitsgesetzte zu realisieren ist. Dass Geheimnisse nicht absolut geschützt werden dürfen, sondern nur dann und insoweit, wie das Geheimhaltinteresse des Einzelnen das Offenbarungsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt. Nur dann, und dies wird bei Geheimnissen und Daten aus dem Privatleben eher der Fall sein, als dort, wo jemand am Wirtschaftsleben – vor allem unter Nutzung des Haftungsprivilegs juristischer Personen – oder am Staatshandeln teilnimmt. Dass wir ein frei zugängliches Internet brauchen, in dem niemand sanktioniert werden darf, der Geheimnisse publiziert, zu deren Geheimhaltung er nicht aufgrund seiner persönlichen Stellung rechtlich verpflichtet ist. Dass es daher nicht mehr ausreicht Informantenschutz und Pressefreiheit nur den klassischen Medien zu gewähren. All dies fehlt. Leider. Andererseits, vielleicht hätte ein solches Buch auch nicht mehr das Interesse der Massen an Personality-Stories bedient. Ein Grundkonflikt des Journalismus.
Mit OpenLeaks geht Domscheit-Berg jetzt einen aus Techniker-Sicht verständlichen Weg. Jenen der Aufspaltung dessen, was bei WikiLeaks noch eine Einheit bildete oder bilden sollte. Er will nur noch Dokumente entgegennehmen und anonymisieren. Prüfen, journalistisch aufarbeiten und Originale und Analyen publizieren, dass sollen andere machen. Die Frage ist nur, ob sich gerade für jene ressourcenintensiven und risikorreichen, verantwortlichen Teilaufgaben auch immer jemand finden wird, oder ob Whistleblower am Ende doch wieder ohne Publizität dastehen und den Fortbestand der Missstände mitansehen müssen. Gerade so wie jderzeit jene Whistleblower die WikiLeaks jene Dokumente zur Veröffentlichung übersandt hatten, die Daniel Domscheit-Berg in zumindest vorläufig in Obhut genommen hat, weil er meinte, dass WikiLeaks diese nicht sicher behandeln könne. OpenLeaks will diese Dokumente selbst nicht veröffentlichen. Den Whistleblowern bleibt hier, wie so oft, nur warten und hoffen, um am Ende vielleicht doch enttäuscht zu werden. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht findet OpenLeaks ja auch mutige Veröffentlichungs-Partner und alles wird gut!
Domscheit-Berg, Daniel: inside WikiLeaks — Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt; ISBN: 978-3-430-20121-6; 2011