Der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf freie Meinungsäußerung und der Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten haben eine gemeinsame Erklärung zu Wikileaks veröffentlich (Original in Englisch).
Wir halten diese Erklärung für sehr geeignet, auch in Deutschland zu einer Versachlichung der Debatte um Wikileaks beizutragen und bieten unseren Leserinnen und Lesern daher folgende, selbst erstellte, Rohübersetzung ins Deutsche an:
GEMEINSAME ERKLÄRUNG ZU WIKILEAKS21. Dezember 2010-Im Lichte der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von diplomatischen Depeschen durch die Organisation Wikileaks und der Veröffentlichung von Informationen aus diesen Depeschen durch Mainstream-Nachrichten-Organisationen rufen der Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung der Vereinten Nationen (UN) und der Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte (IACHR) eine Reihe von völkerrechtlichen Grundsätze in Erinnerung. Die Sonderberichterstatter fordern die Staaten und anderen relevanten Akteure auf, diese Grundsätze zu berücksichtigen, wenn sie auf die vorgenannten Entwicklungen reagieren.
1. Das Recht auf Zugang zu bei öffentlichen Stellen vorhandenen Information ist ein grundlegendes Menschenrecht. Ausnahmen hiervon unterliegen strengen Regeln. Das Recht auf Zugang zu Informationen schützt das Recht jedes Menschen auf Zugang zu öffentlichen Informationen und das Recht, zu wissen, was Regierungen in ihrem Namen tun. Es ist ein Recht, das, angesichts seiner Bedeutung für die Konsolidierung, die Funktionsweise und die Erhaltung demokratischer Regime, die besondere Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft erhalten hat. Ohne den Schutz dieses Rechts, ist es für die Bürger unmöglich die Wahrheit zu kennen, Rechenschaftspflicht einzufordern und ihr Recht auf politische Mitwirkung uneingeschränkt auszuüben. Staatliche Stellen sollten aktive Schritte unternehmen, um den Grundsatz der größtmöglichen Transparenz zu gewährleisten, die in vielen Ländern noch herrschende Kultur der Geheimhaltung aufbrechen und die Zahl jener Informationen zu erhöhen, die routinemäßig veröffentlicht werden.
2. Gleichzeitig sollte das Recht auf Zugang zu Informationen einem eng ausgestalteten System von Ausnahmen unterliegen, um überwiegende öffentliche und private Interessen wie die nationale Sicherheit und die Rechte und die Sicherheit anderer Personen zu schützen. Gesetze die Geheimhaltung vorsehen sollten nationale Sicherheit präzise definieren und jene Kriterien klar angeben anhand derer entschieden werden soll, ob Informationen für geheim erklärt werden oder nicht. Ausnahmen vom Informationszugang wegen der nationalen Sicherheit oder aus anderen Gründen sollten nur zur Anwendung kommen, wo ein Risiko eines erheblichen Schadens für das geschützte Interesse besteht und wo dieser Schaden größer ist als das allgemeine öffentliche Interesse am Zugang zu den Informationen. In Übereinstimmung mit internationalen Standards sollten Informationen über Menschenrechtsverletzungen nicht als geheim oder Verschlusssachen angesehen werden.
3. Öffentliche Behörden und ihre Mitarbeiter tragen die alleinige Verantwortung für die Wahrung der Vertraulichkeit von rechtmäßig als Verschlusssachen eingestuften Informationen unter ihre Kontrolle. Andere Personen, inklusive Journalisten, Medienschaffenden und Vertretern der Zivilgesellschaft, die Verschlusssachen erhalten und verbreiten, weil sie dies für im öffentlichen Interesse halten, sollten dafür nicht haftbar gemacht werden können, außer sie selbst hätten einen Betrug oder ein anderes Verbrechen begangen, um die Informationen zu erhalten. Darüber hinaus sollten „Whistleblower“ aus dem öffentlichen Dienst vor rechtlichen, verwaltungsmäßigen und arbeitsbezogenen Sanktionen geschützt sein, wenn sie gutgläubig Informationen weitergegeben haben über: Fehlverhalten von öffentlichen Stellen, eine ernste Bedrohung für Gesundheit, Sicherheit oder die Umwelt oder eine Verletzung der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts. Jeder Versuch diejenigen die eine vertrauliche Information weitergeben haben haftbar zu machen, muss auf vorher festgelegte Gesetze gestützt werden, die durch eine unparteiische und unabhängige Rechtsordnung mit vollem Respekt für ein faires Verfahren und dem Recht auf eine Berufung umgesetzt werden.
4. Direkte oder indirekte Einmischung der Regierung und jede Art von Druck auf jede Art von Meinung oder Information, die darauf gerichtet ist deren Inhalt zu beeinflussen, muss gesetzlich verboten sein, gleichgültig ob es sich um mündliche, schriftliche, künstlerische, visuellen oder elektronische Kommunikation handelt. Zu derartigen illegitimen Einmischungen gehören auch politisch motivierte rechtliche Verfahren gegen Journalisten und unabhängige Medien und die Sperrung von Webseiten und Web-Domains aus politischen Gründen. Aufrufe von Amtsträgern zu illegitimen Vergeltungsaktionen sind nicht akzeptabel.
5. Filtersysteme, die nicht vom Endabnehmer gesteuert sind – ob von einer Regierung oder von kommerziellen Anbieter von Diensten eingeführt – sind eine Form der Vorzensur und können nicht gerechtfertigt werden. Unternehmen, die Internet-Dienste anbieten sollten sich bemühen, sicherzustellen, dass sie das Recht ihrer Kunden respektieren das Internet ohne willkürliche Eingriffe nutzen zu können.
6. Selbst-regulierende Mechanismen für Journalisten haben schon bisher eine wichtige Rolle bei der Förderung einer stärkeren Sensibilisierung hinsichtlich der Behandlung und Berichterstattung über schwierige und kontroverse Themen gespielt. Bei der Berichterstattung über Informationen aus vertraulichen Quellen die wertvolle Interessen wie Grundrechte oder die Sicherheit anderer Personen beeinflussen können, ist die besondere journalistische Verantwortung gefragt. Ethische Kodizes für Journalisten sollte daher eine Bewertung des öffentlichen Interesses an der Verfügbarkeit dieser Informationen beinhalten. Solche Kodes können auch nützliche Orientierung für neue Formen der Kommunikation und Neue-Medien-Organisationen bieten, die sich ebenfalls freiwillig ethische best practice Regelungen geben sollten, um sicherzustellen, dass die zur Verfügung gestellten Informationen korrekt sind, fair präsentiert werden und keine erheblichen Schäden rechtlich geschützter Interessen wie Menschenrechte verursachen.
Catalina Botero Marino
Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte Sonderberichterstatter für MeinungsfreiheitFrank LaRue
UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf freie Meinungsäußerung