Die gerade erschienene ökonomische Promotion mit dem Untertitel „Handlungsempfehlungen für eine nutzenstiftende Umsetzung in Deutschen börsennotierten Unternehmen“ hat nach Angaben der Verfasserin das Ziel „eine theoretische Fundierung möglicher Nutzenaspekte interner Whistleblowing-System aus betriebswirtschaftlicher, genauer institutionenökonomischer Sicht zu erarbeiten, die über die Aufdeckung wirtschaftskrimineller Handlungen und die Vermeidung öffentlichkeitswirksamer Unternehmensskandale hinausgeht.“ Dabei lesen sich die 221 Seiten trotz einer präzisen wissenschaftlichen Sprache auch für den Nichtökonomen durchaus flüssig. Nur der umfassende Fußnotenapparat stört manchmal etwas, da er neben umfassenden Quellenhinweisen (auf ein Literaturverzeichnis von 43 Seiten) und sehr vielen Querverweisen auch inhaltlichen Anmerkungen enthält, von denen die ein oder andere vielleicht doch besser im Fließtext aufgehoben gewesen wäre.
Den Einstieg in die Arbeit bilden eine Begriffsklärung (in Anknüpfung an die Definition von Near u. Miceli) und der Blick auf die inhaltliche (Umfeld, Sachverhalte, Tätergruppen) und rechtliche Situation in den USA, Großbritannien und Deutschland. Damit gelingt es der Autorin einen Rahmen abzustecken bevor sie sich an ihr eigentliches Thema macht. Kritisch ist aber anzumerken, dass die Darstellung der US-Situation im Verhältnis zur Rechtslage in Deutschland sehr ausführlich ausfällt und bei letzterer deren derzeit prägendes Element, nämlich die Urteile des Bundesarbeitsgerichts aus den Jahren 2003 und 2006 fehlen. Auch hätte bzgl. des britischen PIDA etwas mehr kritische Distanz sicherlich nicht geschadet.
Sodann begibt sich die Verfasserin in die Tiefen der ökonomischen Theorie und wendet sich nach kurzer Kritik der Neoklassischen Theorie der Neuen Institutionenökonomik und der aus dieser abgeleiteten Transaktionskostentheorie und der Prinzipal-Agenten-Theorie zu. Letztere und insbesondere die Differenzen zwischen den Interessen der Anteilseigner (Prinzipale) und dem Interesse und Verhalten der Unternehmensführung (Agent) börsennotierter Unternehmen stellt sie in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Diese dürfte auf Kapitalgeber, als parallele Prinzipale der Unternehmensführung jedoch ebenfalls übertragbar sein und sich auch in vielen Aspekten in der Beziehung zwischen Unternehmensführung (Prinzipal) und Mitarbeitern (Agenten) wiederfinden. In all diesen Beziehungen zeigt sich, dass der Agent gegenüber dem Prinzipal in der Regel einen Informationsvorsprung besitzt und wegen der Grundannahme oppertunistischen Handles davon auszugehen ist, dass der Agent diese Ungleichverteilung zu seinen Gunsten ausnutzt. Demnach muss der Prinzipal, also der Aktionär z.B. im Rahmen der Hauptversammlung, aktiv werden um: den Informationsvorsprung des Agenten zu reduzieren (durch Signalling und Reporting des Agenten bzw. Screening und Monitoring des Prinzipals), dessen Zielvorstellungen mit den eigenen zu harmonisieren und oppertunistischem Verhalten mit Sanktionen bzw. Anreizen entgegenzuwirken (durch Verträge und vertrauensbildende Maßnahmen), wobei mit all diesen Aktivitäten immer auch Kosten des Prinzipals verbunden sind.
Laut Donato sind bisher, mangels Whistleblowing-Kultur in Deutschland, zu unrecht kaum vorhandene, Whistleblowing-Systeme in Unternehmen ein weiteres Mittel im dargestellten Sinne. Bereits für potentielle Aktionäre können sie ein Signal darstellen, „dass Transparenz – und somit der Abbau von Informationssymmetrien – im Hinblick auf die Geschäfts(führungs)tätigkeit oberstes Gebot der Unternehmensführung ist“, erst recht aber liefern sie tatsächlichen Aktieninhabern ein zusätzliches Monitoring Instrument hinsichtlich der Aufklärung (und über die Abschreckungswirkung auch der Vermeidung) wirtschaftskriminieller Handlungen (und auf diesen Anwendungsbereich von Whistleblowing-Systemen fokussiert die Arbeit) die zumindest langfristig einen Wertverlust der Investition der Prinzipale mit sich brächten. Zugleich kann von Whistleblowing-Systemen auch noch ein vertrauensbildender Effekt ausgehen, wenn die Unternehmensführung deutlich macht, „dass das installierte System nicht nur existent, sondern auch gewünscht ist“. Dabei sieht die Autorin durchaus das Problem, dass der kurzfristig denkenden Unternehmensführung die Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität, z.B. wenn das Unternehmen durch sie begünstigt wurde, durchaus Kosten verursachen kann. Sie weist aber zugleich darauf hin, dass der Aspekt des Vertrauens „heute in einem sehr viel höheren Maße als früher einen nicht zu unterschätzenden Parameter“ darstellt. Denn Vertrauen, kann „einen Mechanismus in Gang setzen, welcher dem Unternehmen langfristig zu einer Reputation verhilft, die es positiv von Wettbewerbern abgrenzt“ und so auch der Unternehmensführung neue Handlungs- und Entscheidungsspielräume eröffnet. Bei all diesen positiven Effekten wird aber auch immer betont, dass die bloße Einrichtung eines Whistleblower-Systems diese Effekte nicht erzielen kann. Nötig ist vielmehr „dass die Aufdeckung respektive Vermeidung von Missständen und Fehlverhalten nicht nur intendiert, sondern tatsächlich auch gewollt und realisierbar ist“.
Diesem, aus der konsequenten Anwendung der allgemeinen Prinzipal-Agent-Theorie auf die Whistleblowing Problematik sehr schön abgeleiteten, Ergebnis der Nützlichkeit für Prinzipale stellt die Autorin dann noch zwei weitere Ableitungen der Sinnhaftigkeit funktionierender Whistleblowing-Systeme in Unternehmen
an die Seite, nämlich jene aus der Corporate Governance und jene aus der Governance Ethik. Ein internes Whistleblowing-System steht demnach, obwohl bisher noch nicht explizit in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) aufgenommen, mit dessen Grundkonzeption von Compliance völlig im Einklang (insbesondere als Umsetzung von Abschnitt 4.1.3. des DCGK) und kann dessen Bemühungen um transparente Geschäfts(führungs)tätigkeit wirksam unterstützen. Zugleich kann es auch ein wichtiges Element eines EhtikManagementSystems (EMS) im Sinne der Wielandschen Konzeption von Governance Ethik sein, indem es Werte(Compliance) sicherstellt. Die Einbindung in ein stimmiges EMS kann darüber hinaus die Akzeptanz des Whistleblowing-Systems und damit das von diesem ausgehende Vertrauenspotential erhöhen.
Nach diesen grundsätzlichen Darlegungen zur theoretischen Basis und zur Nützlichkeit im betriebswirtschaftlichen und wertorientierten Sinne kommt Donato dann zur alles entscheidenden Frage: Wie muss ein Whistleblowing-System ausgestaltet sein, dass diesen Nutzen durch effektive Implementation auch generieren kann?
Dabei gelingt ihr etwas, was für jeden der sich über die Konstruktion eines Systems Gedanken macht, welches von Menschen genutzt werden soll eigentlich selbstverständlich sein sollte, gerade im Bezug auf die Implementationsideen von Unternehmen für Whistleblowingsysteme in der Praxis aber bisher eine eher untergeordnete Betrachtungsweise zu sein scheint: Donato fokussiert auf die Nutzer des Systems, die (potentiellen) Whistleblower!
Ausgangspunkt dabei sind die Erkenntnisse von Miceli und anderen hinsichtlich der Handlungsalternativen (exit, voice, neglect/silence – wobei letztere in der Arbeit von Donato zu wenig in den Blick genommen wird) und des fünf-phasigen Whistleblowing-Prozesses (Trigger, Beurteilung, Whistleblowing, Reaktion, Erneute exit/voice/neglect Entscheidung des Whistleblowers). Zu Recht wird dabei betont, dass es am Ende immer der Whistleblower ist, der anhand der Reaktion, seiner Situation und der Umweltbedingungen entscheidet, ob der Prozess zum Ende gelangt oder eskalierend – z.B. durch externes Whistleblowing – in eine neue Runde geht. Für die Unternehmensleitung die ein effektives Whistleblowing-System einrichten will, ergibt sich laut Donato daraus, dass sie alles tun muss um:
1. eine angemessene Reaktion auf den Hinweis sicherzustellen,
2. den Whistleblowing-Prozess zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, d.h. dem Missstand respektive Fehlverhalten in einer für alle Seiten aktzeptablen Weise zu begegnen und einen möglichen Prozessneubeginn zu vermeiden,
3. die Reaktion der den Whistleblower umgebenden Unternehmensangehörigen, d.h. seiner Kollegen oder auch seiner direkten Vorgesetzten, in einer Weise zu steuern, die der Unternehmenspolitik im Hinblick auf Whistleblowing gerecht wird“, was ausreichende Kommunikation über den Reaktionsprozess mit dem Whistleblower und auch Transparenz gegenüber der restlichen Belegschaft nötig macht.
Insgesamt liefert Donate somit eine vor allem auf der theoretischen Metaebene hervorragende Gesamtanalyse des Problems der internen Whistleblower-Systeme in börsennotierten Unternehmen. Als Praktiker hätte man sich allerdings gerade deshalb an der einen oder anderen Stelle noch etwas mehr Fleisch gewünscht. So wenn es um konkrete Implementationselemente geht, wo eine vergleichende Analyse der diesbezüglichen Vorstellungen von ICC, GAP und BSI sicherlich bereichernd gewirkt hätte, aber auch hinsichtlich der doch sehr verkürzten Ausführungen zum vertraulichen und anonymen Whistleblowing oder auch der zu pauschalen Gleichsetzung von externem und öffentlichem Whistleblowing. Letzteres und die Fokussierung auf die Beziehung Aktionär – Unternehmensleitung führt dann auch dazu, dass Donato versäumt die Frage zu stellen, ob Vertrauen der Whistleblower in rein interne Whistleblowing-Systeme und damit deren tatsächliche Nutzung wirklich in vollem Maße hergestellt werden kann. Hilfreich wäre es die berechtigten Interessen des Whistleblowers hier durch gesetzliche Regelungen abzusichern, die ihm den Weg zu staatlichen Kontrollinstanzen von vornherein als Alternative eröffnen sollten. Als Alternative die er nicht als erstes ergreifen, auf die er aber jederzeit zurückgreifen können sollte.
Der Schlussaussage der Promotion ist dennoch in vollem Maße zuzustimmen:
„Deutschland braucht mehr Whistleblowing! Doch will Deutschland auch mehr Whistleblowing? Den Beweis hierfür müssen deutsche Unternehmen erst noch antreten. Es wird zu ihrem Schaden nicht sein.“
Donato, Jessica: Handlungsempfehlungen für eine nutzenstiftende Umsetzung in deutschen börsennotierten Unternehmen; ISBN: 978-3-631-59559-6; 2009