Während in den USA der Pharma-Riese Pfizer gerade 2,3 Mrd. US-$ zahlen muss, wird in Deutschland bei der aktuellen Diskussion über Korruptionsbekämpfung, Patientenschutz und Kostenersparnis im Gesundheitswesen das Potential von Whistleblowing-Förderung weitgehend ignoriert. Darauf weist jetzt Whistleblower-Netzwerk e.V. hin und sieht sich dabei auf einer Linie mit dem Deutschen Ärztetag, der schon 2008 gesetzliche Bestimmungen zum Schutze von Whistleblowern gefordert hatte, die immer noch ausstehen.
Psychiater Stefan Kruszewski wurde von den Pharma-Vertretern von Pfizer aufgefordert, das Anti-Psychotikum Geodon jenseits seines zugelassenen Anwendungsbereichs auch bei älteren Patienten zur Demenzbehandlung einzusetzen. Kruszeski aber informierte sich. Über den Anwendungsbereich und über die von den Pharma-Vertretern verschwiegenen schweren Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem. Was aber konnte er tun?
Zum Glück geschah dies alles in den USA und der Arzt konnte so zum Whistleblower werden. Mit Hilfe von Anwälten erstritten er und fünf weitere Whistleblower – unter ihnen auch frühere Pfizer-Mitarbeiter – dank der dortigen gesetzlichen Regelungen, das Pfizer am Ende nicht nur diese illegalen Praktiken einstellen, sondern im Rahmen eines Vergleichs auch 2,3 Mrd. US-$ zahlen musste. Das meiste davon geht an die Staatskasse, aber auch die Whistleblower und ihre Anwälte erhalten insgesamt 102 Mio. US-$. Das dahinter stehende Gesetz, der False Claims Act, hat sich also wieder einmal bewährt, potentielle Täter abgeschreckt und andere Whistleblower ermuntert
Was wäre in einem solchen Fall in Deutschland passiert? Hätte der Arzt überhaupt jemanden gefunden, der „zuständig“ wäre? Hätte die Gesundheitsbürokratie müde abgewinkt oder wären umfangreiche Ermittlungen in Gang gekommen? Wahrscheinlich wäre der Fall spätestens an den mangelnden Ressourcen zu seiner Aufklärung gescheitert, und selbst wenn nicht, wäre allenfalls ein Verbot dieses Off-Label-Marketings für die Zukunft ausgesprochen worden. Die bereits eingestrichenen Gewinne wären privatisiert, und die Schäden durch Nebenwirkungen sozialisiert worden. Und die betreffenden Whistleblower? Sie hätten in ihrer Branche mit Sicherheit keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Aber diese Fragen stellen sich in Deutschland so ja gar nicht, denn bei uns gibt es statt Whistleblowing etwas anderes: Schweigen.
Geredet wird stattdessen in Wahlkampfzeiten gerade mal wieder über Korruptionsbekämpfung. Die CDU/CSU, die im letzten Jahr selbst erste Ansätze zu einen gesetzlichen Whistleblowerschutz in Deutschland blockiert hatte, redet jetzt von Transparenz, will es aber – wie schon beim Thema Gammelfleisch – mal wieder bei der Selbstoffenlegung durch die Akteure belassen. Die SPD spricht immerhin von Meldestellen in Landesministerien, setzt aber vor allem auf anonyme Hinweisgeber und belässt diese damit in der Schmuddelecke. Da scheint es dann auch wenig zu interessieren, wie Anonymität überhaupt funktionieren soll, wenn es typischerweise neben den Tätern immer nur ganz wenige Ärztinnen und Ärzte, Kranken- und Altenpflegerinnen und -pfleger oder Bürofachkräfte sind, die überhaupt mitbekommen, wenn im Gesundheitswesen betrogen oder die Patientensicherheit vernachlässigt wird. Da ist dann schnell klar, wer hier die Alarmpfeife geblasen hat und wer dann abgestraft wird.
„Egal ob es um Korruption zwischen Ärzten und Krankenhäusern, unethisches oder kriminelles Verhalten der Pharmaindustrie, um unzureichende Pflegekapazitäten oder um das Vertuschen von Behandlungs- und Hygienefehlern geht, all dies kostet viele Mitmenschen die Gesundheit und den Steuer- und Beitragszahler jährlich Milliarden. In all diesen Fällen täten wir gut daran, diejenigen zu stärken und zu schützen, die auf solche Missstände hinweisen, damit sie endlich abgestellt werden können.“, so Guido Strack, der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerk e.V. Nach Auffassung des Netzwerks ist ein umfassender gesetzlicher Whistleblowerschutz in der Gesundheitsbranche und anderswo dringend nötig. Der Verein hat hierzu auf seiner Webseite umfangreiche Vorschläge gemacht und sieht sich in seinen Forderungen im Einklang mit den Beschlüssen des 111. Deutschen Ärztetages und den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).