Obwohl sich dieser Aufsatzsammelband nicht in erster Linie mit dem Thema Whistleblowing beschäftigt, lohnt es sich doch, auch aus Whistleblower Perspektive einmal einen kritischen Blick auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu werfen. Dies nicht nur, weil der Herausgeber Johannes Ludwig, zufällig auch stellvertretender Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerks und Verantwortlicher unseres Kooperationspartners DokZentrum ansTageslicht.de ist, oder weil es laut Untertitel um „Tabuzonen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ geht, sondern vor allem deshalb, weil Whistleblower angesichts fehlenden effektiven gesetzlichen Whistleblowerschutzes in vielen Fällen darauf angewiesen sind, dass die Medien ihre Watch-Dog-Funktion als vierte Gewalt erfüllen. Gerade an das öffentlich-rechtliche Fernsehen knüpfen Whistleblower, angesichts seiner weiten Verbreitung und seiner vermeindlichen Unanabhängigkeit, dabei oft große Hoffnungen, die allerdings nicht selten auch enttäuscht werden. Schauen wir uns also ruhig einmal an, was sich im innern jenes Systems so abspielt.
Neben zwei einleitenden Beiträgen zum Dualen Rundfunksystem und zum Auftrag des öffentlichen rechtlichen Teils ist der Sammelband in vier Abschnitte unterteilt: „Programmangebot und Akzeptanz – Wo steht das öffentlich-rechtliche System in 10 bis 15 Jahren“,“Ökonomie, Nachhaltigkeit und Akzeptanz“, „Transparenz und Akzeptanz: Zur Kommunikationskultur im Öffentlich-Rechtlichen“ und „Selbstverständnis und Kritikfähigkeit – Glaubwürdigkeit und Akzeptanz“.
Bereits in den einführenden Beiträgen wird festgestellt, dass es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an einem klaren Konzept dafür fehlt, wie Grundversorgung im 21. Jahrhundert aussehen soll, wobei zugleich konstatiert wird, dass gerade vor dem Hintergrund des letzten Rundfunkstaatsvertrages droht, dass der Anschluss an das immer bedeutsamere Medium Internet weiter verloren gehen wird. Zugleich drohe dem Rundfunk und vor allem dem öffentlich-rechtlichen, neben weiter fortschreitender Fragmentierung, aufgrund der schon jetzt in jungen Jahren fehlenden Bindung, die heutige Jugend dauerhaft verloren zu gehen.
Vor dem Hintergrund dieser Analyse wird es dann noch unverständlicher, weshalb – und dies beschreibt ein anderer Aufsatz – die öffentlich-rechtlichen gerade im Internet nicht mit ihren aus öffentlichen Mitteln produzierten Pfunden – z.B. den journalistischen Berichten ihrer Politmagazine – wuchern. Statt ihrer öffentlichen und politischen Aufgabe gerecht zu werden, herrscht hier vorauseilende Selbstbeschneidung vor. Statt öffentlich finanzierte Inhalte, analog zum Gedanken der Informationsfreiheitsgesetze (IFGs), auch öffentlich verfügbar zu halten, beschränken die meisten Magazine ihre online-Archive auf ein Jahr und reagieren noch dazu wenig kundenorientiert wenn nach älteren Beiträgen gefragt oder gar diese Selbstbeschneidungspraxis hinterfragt wird. Ergebnis: Politischer Alzheimer.
Auch zur ökonomischen Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann man in diesem Sammelband einiges erfahren. So z.B. zur fehlenden Transparenz der Kostenberechnungen, zu den dahinter stehenden bürokratischen Prozessen und zum KEF-Gebührenerrechnungssystems, wobei die Gebühreneinnahmen seit 1959 mehr als dreimal so stark gestiegen sind, wie Steuern und BIP. Angesichts dieser Zahlen bleibt dann auch die Frage, warum sich der öffentlich rechtliche Rundfunk bei dieser soliden Finanzausstattung dennoch auf Vermischungen von Programm und Werbung, undurchsichtiges Sponsoring und den Maßstab der Quotenquantität statt jenen der Produktqualität einläßt.
Aber wem soll man diese Frage stellen? Die öffentlich-rechtlichen, scheinen jedenfalls wenn man den Artikeln zum Thema Transparenz glauben darf, auf kritische Fragen gar nicht gut zu sprechen zu sein. Da werden Kündigungen von Kooperationspartnerschaften nicht begründet und es liegt der Verdacht nahe, dass hier jemand für Kritik am System abgestraft werden soll. Was sich übrigens mit Erfahrungsberichten von Whistleblowern deckt, die berichten, dass sie als freie Journalisten nach kritischen Beiträge auf einmal keine Aufträge mehr von öffentlich-rechtlichen Sendern bekamen. Der WDR streitet ab, an das IFG gebunden zu sein und prozessiert lieber, als einem Journalisten Auskünfte über die wirtschaftlichen Beziehungen zu den eigenen Rundfunk- und Verwaltungsräten zu geben. Und überhaupt jene Kontrollorgane. Statt unabhängiger Kontrolle scheinen hier – jedenfalls wenn man dem Tenor dieses Buches glauben schenken darf – Verknüpfungen persönlicher und ökonomischer Art vorzuherrschen. Kritische Anfragen an jene Kontrollorgane werden der Einfachheit halber, dann auch schon mal gleich von den eigentlich zu kontrollierenden Intendanten beantwortet. So wundert es dann auch kaum noch, wenn ganz nebenbei zu erfahren ist, dass auch der angeblich unabhängige Ombudsmann des WDR – Whistleblower aufgepasst! – als unabhängiger Anwalt sein Brot gerade bei jener Bonner Großkanzlei verdient, die immer wenn es kritisch wird, den WDR juristisch vertritt – so auch im oben erwähnten Verfahren zur Abwehr von IFG-Ansprüchen.
Es bleibt zu hoffen, dass diesem lesenswerten und sehr vielschichtigen Buch jenes Schicksal erspart bleibt welches in einem Zitat des Darmstädter Sportsoziologen Professor Karl-Heinrich Bette beschrieben wird und auf viele Bereiche jenseits des Sports übertragbar ist. Eine Beschreibung welche zugleich erklären könnte, warum Whistleblower die auf systemische Missstände hinwiesen in den Medien oft gar nicht zu Wort kamen, andere in schneller Skandalberichterstattung verbrannt wurden und auch warum die strukturellen Schwierigkeiten der Whistleblower in den Medien eben nicht hinreichend thematisiert werden:
„Soziologische Studien, die die Verstrickungen von Sport, Medien, Publikum, Wirtschaft und Politik in den Blick nehmen, werden sowohl sowohl vom organisierten Sport als auch von den Medien systematisch nicht wahrgenommen, weil sie in deren Aufmerksamkeits- und Interessenraster nicht hineinpassen.
Strukturen geben keine Interviews und lassen sich nicht einem klatschenden Publikum vorführen. Nur Menschen sind als Gestalten, über die gesellschaftliche Strukturen wirken, vorzeigbar und können als Personen zum Sprechen gebracht werden. Zu dieser prinzipiellen Unsinnlichkeit von Strukturen kommt die Schwierigkeit hinzu, dass Strukturen – eben weil sie in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht Erwartungssicherheit herstellen sollen – eine relative Konstanz aufweisen und sich nicht von heute auf morgen verändern. Ihre Vorhersehbarkeit und Stabilität widersprechen in eklatanter Weise dem permanenten Spannungs- und Neugierigkeitsbedarf gerade des Fernsehens.“
Johannes Ludwig (Hrsg.): Sind ARD und ZDF noch zu retten?; ISBN 978-3-8329-4379-0; 2009. [b]