Die Große Koalition beschließt die Förderung einer Gedenkveranstaltung für einen Whistleblower. Es ist wohl die konkreteste Aussage des Koalitionsvertrages in Sachen Whistleblowing, wenn es auf S. 113 heißt:
„Zum Gedenken an den weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus bedeutenden 500. Jahrestag der Reformation 2017 wird auch der Bund einen angemessenen Beitrag leisten.“
Nun mag Martin Luther zwar in der Tat der bedeutendste Whistleblower der deutschen Geschichte sein, eigentlich wurde aber von der Großen Koalition, die sich großen Aufgaben annehmen wollte, erwartet, dass sie sich auch im Hinblick auf dem Schutz der heutigen und morgigen Whistleblower in Deutschland konkret äußert.
Hierzu findet sich allerdings nur ein Prüfauftrag auf S.70:
„Informantenschutz im Arbeitsverhältnis
Beim Hinweisgeberschutz prüfen wir, ob die internationalen Vorgaben hinreichend umgesetzt sind.“
Rechtssicherheit ist Fehlanzeige
Anders als in einem anderen, derzeit in der Öffentlichkeit diskutierten Papier klingt dies nicht nach einem großen Reformwillen.
Dabei liegt die Misere doch klar auf der Hand: So war es z.B. in der gestrigen Sendung Marktplatz im Deutschlandfunk nicht der Vertreter des Whistleblower-Netzwerk e.V., der die rechtliche Unsicherheit für Whistleblower in Deutschland darstellen musste. Christoph Kleinmann, Arbeitsrechtsanwalt einer Frankfurter Großkanzlei, die meist Arbeitgeber vertritt, brachte es auf den Punkt: Weder Whistleblower noch Arbeitgeber wissen derzeit in Deutschland wie die Gerichte in ihrer Abwägung im Einzelfall entscheiden werden. Und noch etwas machte die Sendung und deren Zuhörerreaktionen deutlich: Menschen die Schweigen, obwohl sie eigentlich lieber Missstände aufdecken möchten und Menschen die nach Whistleblowing gemobbt und gekündigt werden, gibt es in Deutschland viel zu viele. Whistleblower-Netzwerk e.V. sieht hier einen dringenden Handlungsbedarf – ganz unabhängig von internationalen Vorgaben.
Prüfauftrag ist unsinnig
Aber auch diese gibt es. Angefangen bei den Konventionen der UNO und des Europarates über G20, OGP, Greco, OECD und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bis hin zum Europäischen Parlament. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Formen der Er- und Abmahnungen internationaler Organisationen an Deutschland, hier endlich tätig zu werden. Die SPD hatte in ihrem Gesetzentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz vom Februar 2012 bereits genau darauf hingewiesen.
Die Frage, die man sich nun stellen muss: Wo bitte besteht hier also noch Prüfungsbedarf? Erklären lässt sich diese Formulierung nur mit der Blockadehaltung weiter Teile der CDU/CSU einerseits und dem Bedürfnis der SPD sich vor ihrem Mitgliedervotum nicht allzu offensichtlich von ihren zuvor vertretenen Positionen verabschieden zu müssen.
Aber sei es drum, wir vom Whistleblower-Netzwerk e.V. jedenfalls werden auch in den nächsten vier Jahren nicht müde werden die Bundesregierung an ihren Prüfauftrag zu erinnern und unsere eigenen Prüfergebnisse vortragen.
Andere Aspekte des Koalitionsvertrags
Darüber hinaus bietet der Koalitionsvertrag auch an anderen Stellen noch zahlreiche Anknüpfungspunkte an denen ein vernünftiger Whistleblowerschutz der Großen Koalition eigentlich sehr nützlich sein könnte, um ihre angepeilten Ziele zu erreichen. Dies gilt z.B. im Bereich des Verbraucherschutzes, der verbessert werden soll. Darüber hinaus finden sich die Worte „Transparenz“ oder „transparent“ immerhin 45 Mal im Text des Vertrages. Was aber könnte besser dazu geeignet sein, Transparenz auch dort zu schaffen, wo andere sie verhindern wollen, als Whistleblowing?
Auf S. 153 heißt es in diesem Zusammenhang auch:
„Die Koalition strebt einen Beitritt Deutschlands zur internationalen Initiative Open Government Partnership an.“
Prima, denn auch dort warten wir und das Thema Whistleblowing bereits auf die Großkoalitionäre! So haben wir nicht nur an dem OGP-Guide zu Whistleblowing mitgearbeitet, sondern unser Vorsitzender war auch im Rahmen eines Whistleblowing-Panels wahrscheinlich der einzige deutsche Vertreter auf einem Podium der letzten Jahreskonferenz der OGP in London. Schade nur, dass er von dort einen seiner Ko-Referenten, den Irischen Minister für öffentliche Ausgaben und Reform B. Howlin und dessen Protected Disclosure Bill, nicht einfach mitbringen konnte. Irland hat sich zum Ziel gesetzt, ein Vorbild im Umgang mit und im gesetzlichen Schutz von Whistleblowern zu werden. Schade auch, dass die Bundesregierung keine solchen Ambitionen hat.
Aber vielleicht liegt dies am fehlenden Problembewusstsein. Während viele Großunternehmen sich aktuell damit genauso beschäftigen wie früheren Bundespräsidenten taucht das Wort „Korruption“ im Koalitionsvertrag gar nicht erst auf. Es findet sich auch keine Aussage darüber, ob Deutschland endlich die UN-Konvention gegen Korruption ratifizieren wird. Statt dessen nur ein kurzer Satz auf S. 152:
„Wir werden die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu regeln.“
Dies ist längst überfällig, wobei die gewählte Formulierung aber offen lässt, ob „regeln“ auch wirklich „verschärfen“ meint.
Klarer ist die Koalition da schon beim Thema Vorratsdatenspeicherung (S. 147):
„Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen.“
Gespeichert werden dann natürlich auch die Kommunikations-Daten von Whistleblowern, egal ob diese gerade mit einer internen „anonymen“ Hotline, ihrem Anwalt oder mit Journalisten kommunizieren. Der insoweit derzeit bestehende minimale Schutz wird also noch weiter ausgehöhlt.
Unter dem Titel „Konsequenzen aus der NSA-Affäre“ findet sind folgerichtig natürlich auch weder eine positive Aussage zur Bedeutung des Whistleblowings von Edward Snowden noch ein Hinweis auf Asyl oder für ein Aufenthaltsrechtsgarantie.
Stattdessen bekommen, genau wie aktuell in den USA auch, in Deutschland die eigenen Spione wahrscheinlich bald mehr Geld wenn es heißt (S. 149):
„Wir stärken die Spionageabwehr.“
Wenige Lichtblicke
Aber es ist auch nicht alles negativ. Es finden sich auch wenige positive Nachrichten imKoalitionsvertrag. Auf S. 104 versteckt sich z.B. doch noch so etwas wie ein Aufenthaltsrecht für Whistleblowerinnen:
„Menschenhandel und Prostitutionsstätten: Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen. Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aus-sagt. Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthalts-recht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.“
Und noch grundsätzlicher heißt es auf S. 179:
„Wir treten international für Presse- und Meinungsfreiheit als wesentliches Fundament einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft ein. Wir stützen und schützen mutige Menschenrechtsverteidiger und fördern zivilgesellschaftliche Kräfte, die unsere Hilfe brauchen.“
Es bleibt zu hoffen, dass dieses Bekenntnis nicht nur gegenüber politisch unliebsamen Regimen im Ausland gilt, sondern auch gegenüber Verbündeten wie den USA, Großbritannien oder Ungarn – Aber vor allem auch gegenüber den Whistleblowern in Deutschland und jenen, die sich bei uns für sie einsetzen.