Es ist eine gute Tradition, dass im Anschluss an die Verleihung des Whistleblowerpreises die Preisträger nochmals in Buchform gewürdigt werden. So haben Dieter Deiseroth und Annegret Falter es auch diesmal wieder unternommen, den Fall des Preisträgers 2011, Dr. Rainer Moormann und zugleich die Reden zur Preisverleihung, zu dokumentieren. Man darf gespannt sein, ob dies auch noch dem anderen Preisträger wiederfahren wird: demjenigen der das Collateral Murder Video an Wikileaks geleakt hat (wofür Bradley Manning in den USA derzeit angeklagt ist).
Der Fall von Dr. Rainer Moormann spielt am (Kern-)Forschungszentrum in Jülich, an dem Moormann 35 Jahre als Wissenschaftler und Experte für Kugelhaufen/Hochtemperatur-Kernreaktoren (HTR) gearbeitet hat. Ein solcher Reaktor war bis 1988 in Jülich als Forschungsreaktor in Betrieb. In der Bundesrepublik setzte man offiziell noch Anfang der 80iger Jahre große Hoffnungen in diesen alternativen Reaktortyp der angeblich „inhärent sicher“ sei, weil das, bei anderen Reaktortypen bestehende Risiko der Kernschmelze, bei ihm baulich ausgeschlossen ist. Der für die Stromproduktion vorgesehene große Bruder des Jülicher Forschungsreaktors in Hamm Uentrop wurde aber schon 1989, nur fünf Jahre nach seiner Inbetriebnahme, wieder vom Netz genommen. Das Kapitel HTR schien damit für die Bundesrepublik beendet und auch für einen scheinbar unbedeutenden Störfall, den es 1978 in Jülich gegeben hatte, interessierte sich niemand mehr.
Dann aber entdeckten die Befürworter jener Technologie die Möglichkeit die Technologie HTR mit dem Siegel „Made in Germany“ im Ausland, zu vermarkten. Z.B. in Südafrika wurde mit dem Versprechen von sicherer und günstiger Energie ein Milliardenprojekt aus der Taufe gehoben. Dr. Moormann hingegen war nicht bereit, sich von dieser Euphorie anstecken zu lassen. Er tat was ein Wissenschaftler tun sollte: er versuchte unerklärliche Effekte (z.B. die gegenüber den Berechnungen in der Praxis erheblich höhere Temperatur im Reaktor im Reaktor) und auch die Ursachen und Folgen des Störfalls in Jülich zu ergründen und er publizierte darüber. Seine Erkenntnis: zwar können beim HTR bestimmte Risiken anderer Kernreaktoren tatsächlich bauartbedingt vermieden werden, dies heißt aber noch lange nicht, dass jene Technologie risikofrei oder auch nur insgesamt sicherer ist.
Das Moormann Zweifel an ihrem Baby streute, passte den Technologiebefürwortern nicht ins Konzept. Sie wollten keine neue teure Forschung, um den von Moormann aufgezeigten Problemen nachzugehen, sie hatten kein Interesse daran, dass jemand erfuhr wie knapp die Region zwischen Aachen und Köln 1978 einer großen Nuklearkatastrophe entgangen war. Dies alles war schlecht für ihren Ruf und ihre Geschäfte. Man reagierte, indem man versuchte Moormann als Unglaubwürdig darzustellen. Seine Aufsätze wurden in Mails an Kollegen (z.B. im lesenswerten Dokument 5 im Anhang des Buches) als Pamphlete und Lügen, er selbst als verbittert und verrückt bezeichnet. Auch das Forschungszentrum Jülich reagierte. Plötzlich war kein Geld mehr da, um lang geplante Kongressreisen von Moormann zu bezahlen und versetzt wurde er auch. Doch Moormann blieb standhaft, lies sich nicht einschüchtern und trug, insbesondere dadurch, dass er auch mit den Medien sprach dazu bei, dass mittlerweile auch das Projekt in Südafrika gestoppt und die Sensibilität für die Risiken des HTR auch außerhalb Deutschlands gewachsen ist.
Das Buch von Deiseroth und Falter dokumentiert diesen Fall in auch für Nicht-Techniker verständlicher Sprache und setzt ihn zugleich in Bezug. In Bezug zu den Ereignissen in Fukushima, zu der von TEPCO gesponserten Ausbildung Japanischer Atomwissenschaftler, zum auch dort aufzufinden Gruppendenken der selbsternannten Wissenschaftler-Eliten, die auch dort jene, die schon frühzeitig auf Risiken hingewiesen hatten, mundtot machten. In Bezug aber auch zu generellen Fragen im Zusammenhang mit Whistleblowing, z.B. zur Frage wie Journalisten sich ein Bild über Whistleblower machen (im Beitrag des WDR-Journalisten Martin Herzog) oder auch zur Frage welchem psychischen Druck Whistleblower ausgesetzt sind, wenn sie auf einmal wahrnehmen, dass ihre Sicht der Welt von ihrer unmittelbaren Umwelt nicht geteilt und vielleicht sogar als unrichtig zurückgespiegelt wird. Hierzu heißt es schon im Vorwort von Ulrich Bartosch: „Die damit einhergehende Einsamkeit ist schmerzlich und wird sehr wahrscheinlich noch verstärkt durch die wahrgenomme Gefährdung von eigener beruflicher, wirtschaftlicher Zukunft und vielleicht sogar körperlicher Unversehrtheit. Man darf sich nicht wundern, wenn solche Menschen auf ihre Umgebung, bisweilen sonderbar, verbissen oder auch unsicher wirken sollten.“
Umso wichtiger ist es aber, gerade bei der wissenschaftlichen Beurteilung von gesellschaftlich relevanten Risiken, jene Stimmen und die vorgebrachten Argumente als Frühwarnsystem ernst zu nehmen. Das vorliegende Buch und der darin geschilderte Fall sind eine wichtige Erinnerung daran.
Deiseroth, Dieter; Falter, Annegret (Hg.): Whistleblower im nuklear-industriellen Komplex — Preisverleihung 2011 – Dr. Rainer Moormann; ISBN: 978-3-8305-3021-3; 2011.