„Das was in Fukushima jetzt stattfindet, hätte leicht verhindert werden können, wenn diejenigen, die wussten, dass das Kraftwerk nicht ausreichend gesichert ist, das an die Medien, also an die Öffentlichkeit getragen hätten“, so Prof. Johannes Ludwig, Betreiber der Plattform „Ans Tageslicht“, im Interview mit dem deutschen Sender Bayern 2. (Podcast, Blogeintrag vom 12.07.2011)
Fünf Monate ist es jetzt her, dass in Japan die Erde bebte und die Welt stillstand. Inzwischen ist Fukushima zur Metapher dafür geworden, dass eingetreten ist, was nach menschlichem Ermessen niemals hätte eintreten dürfen – die atomare Katastrophe. Schon bald nach der Katastrophe häuften sich die Berichte, dass die japanische Atomaufsicht und der Kraftwerksbetreiber Tepco um die Gefahr jahrelang wussten.
Wer jedoch im Dunkeln gehalten wurde, war die Bevölkerung Japans, also jene Menschen, die nun zum zweiten Mal in der Geschichte Opfer einer nuklearen Katastrophe geworden sind.
Extremfälle wie diese verdeutlichen auf traurige Weise, wie wichtig Whistleblowing, das wir auch als „Alarm schlagen“ bezeichnen können, und Zivilcourage sind und werfen viele berechtigte Fragen nach der Zweckmäßigkeit rechtlich geschützter Geheimnisse im Hinblick auf das Allgemeinwohl auf. Wem genau hat rückblickend die Verschwiegenheit in Fukushima gedient?
Wäre rational gesehen Tepco, dem Betreiber des havarierten Kernkraftwerkes Fukushima, der gesamten Atomlobby und, viel wichtiger noch, jenen Familien, deren Mitglieder ihr Leben beim Unfall lassen mussten oder noch werden, nicht ein Dienst erwiesen worden, wenn ein mutiger Insider vor der Katastrophe ein Loch in die Mauer des Schweigens geschlagen hätte?
Das Unternehmen Lufthansa zeigt, dass Whistleblowing, als ein Werkzeug der Prävention und Sicherheit, sehr wohl auch Firmenpolitik sein kann und übernimmt damit eine Vorreiterrolle im deutschsprachigen Raum (für ausführliche Informationen über Whistleblowing in der Luftfahrt siehe Blogeintrag vom 01.07.2011). Lufthansa Mitarbeiter, die den Verdacht haben, dass es Flugzeug unter Umständen nicht ausreichend überprüft worden ist, können bei einer internen anonymen Hotline anrufen und vermelden, dass ein bestimmtes Flugzeug einem weiteren technischen Sicherheitscheck benötigt, selbst wenn dieses schon auf der Startbahn steht.
Lufthansa positioniert sich als verantwortungsvoller Vorreiter, der den Schutz von Menschenleben vor den Profit stellt und wahrt die Interessen der Aktionäre, indem durch rechtzeitiges und gewolltes Aufdecken die Sicherheit der gesamten Flugflotte erhöht wird. Denn ähnlich wie die Atomindustrie, ist die Flugindustrie abhängig vom Vertrauen der Kunden in die Sicherheit.
Dieser Vergleich soll verdeutlichen, dass Whistleblowing, welches von Laien schnell als Anschwärzen, Verpfeifen oder gar Denunzieren von Kollegen abgetan wird, ein Überdenken des oft falsch verstandenen Begriffes der Loyalität erfordert und uns die Tür zu einer neuen Gesellschaft öffnen kann.
Gemeinhin verstehen wir unter Loyalität, die Werte und Ideologien eines anderen zu teilen und zu vertreten. Unter Umständen auch dann, wenn wir sie nicht vollumfänglich teilen. Was jedoch ist mit der Loyalität zu unseren eigenen Werten? Und stehen menschliche Werte zwangsläufig im Widerspruch zur Firmenpolitik in einer kapitalorientierten Gesellschaft?
Das Unternehmen Lufthansa zeigt, dass durch Erweiterung des Loyalitätsbegriffes eine langersehnte Lücke zwischen Firmenpolitik und unserem Gewissen geschlossen werden kann. Es ist keineswegs erforderlich zu warten, bis ein Unglück geschieht, um über Recht und Unrecht, Verantwortung und Verantwortungslosigkeit urteilen zu können.
In einer Gesellschaft, deren Arbeitswelt von Konkurrenzdenken geprägt ist, dürfen jedoch jenen Mitarbeitern, die den Mut haben Missstände aufzuzeigen, nicht alleingelassen werden, sie benötigen Gesetze, die sie schützen.
Die Realität sieht derzeit jedoch eher düster aus. Laut einer Statistik (WHO BLOWS THE WHISTLE ON CORPORATE FRAUD?, S. 67) werden Whistleblower nur von den wenigsten Firmen und Staaten geschützt. Wir leben in Gesellschaft und einem Rechtsstaat, in dem die Mehrzahl der mutigen Menschen, die strafbares oder korruptes Verhalten aufzeigen, bestraft werden.
Es bleibt somit die Frage offen, ob Schweigen und Wegschauen, wenn augenscheinliches Unrecht geschieht oder Menschenleben auf dem Spiel stehen, wirklich unser Verständnis von Loyalität ist?
Werden wir dadurch nicht ungewollt zu Mittätern?
Whistleblowing Austria / Christoph Kolasinski