Deutschland steht beim Whistleblowerschutz vor einer Richtungsentscheidung. Erfreulich, dass die befragten Bundestagsparteien die Dringlichkeit des Themas erkannt haben und bereits in möglichen Koalitionsverhandlungen über ein Whistleblowerschutzgesetz sprechen wollen. Schließlich drängt die Zeit: Deutschland muss noch dieses Jahr die EU-Whistleblowing-Richtlinie umsetzen, sonst droht ein Vertragsverletzungsverfahren.
Sind die demokratischen Bundestagsparteien bereit für ein robustes Whistleblowerschutzgesetz und einen transparenteren Umgang mit Verschlusssachen? Wir haben die Bundestagsparteien CDU/CSU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, die Linke und FDP für unsere Wahlprüfsteine um Antworten auf acht Fragen gebeten und uns ihre Wahlprogramme angeschaut. Dabei haben wir deutliche Unterschiede beim Verständnis der Rolle von Whistleblowern für Demokratie und Rechtsstaat entdeckt.
Umfassender Schutz und Wahlfreiheit bei den Meldewegen
CDU/CSU wehren sich gegen eine umfassende Umsetzung der Richtlinie. Sie wollen den Whistleblowerschutz auf Meldungen über Verstöße gegen Regelungsbereiche, in denen die EU die Gesetzgebungskompetenz besitzt, beschränken („1:1-Umsetzung“). Das würde zu einer Situation führen, in der kleinere Verstöße gegen europäische Vorschriften wie Daten- oder Verbraucherschutz geschützt gemeldet werden können, schwere Straftaten hingegen nicht, weil die EU im allgemeinen Strafrecht keine Regelungskompetenz hat (mehr dazu). Ein Desaster! Es bliebe bei einem lückenhaften Schutzsystem und großer Rechtsunsicherheit. Für Laien ist de facto unmöglich, zu erkennen, wo die Grenzen zwischen europäischen und nationalen Regelungsbereichen verlaufen.
Mehr Mut und Vertrauen in Whistleblower zeigen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die Linke. Sie setzen sich dafür ein, bei der Umsetzung der EU-Richtlinie nationales Recht miteinzubeziehen. Außerdem wollen sie es Whistleblowern überlassen, ob sie sich unmittelbar an staatliche Stellen wenden und ihre Meldung anonym abgeben wollen. Zurecht, Studien und Erfahrungen zeigen, dass anonyme Meldemöglichkeiten keine Zunahme von missbräuchlichen Meldungen zur Folge haben und Whistleblower Meldungen i.d.R. intern abgeben – wenn sie der Hinweisgeberstelle vertrauen.
Transparenz und Offenlegungen – auch im Geheimschutzbereich
Die Beispiele von Wirecard und Edward Snowden demonstrieren, dass oft erst eine öffentliche Debatte zur Behebung gravierenden Missständen führt. In derartigen Fällen muss der Gang an die Öffentlichkeit geschützt möglich sein. Ausnahmen beim Whistleblowerschutz für Geheimdienste und die ausufernde Einstufung von Informationen als Verschlusssache sind daher kontraproduktiv (mehr dazu). Das hier einiges im Argen liegt haben – mit Ausnahme von CDU/CSU – alle Bundestagsparteien erkannt. Willen zu einer umfassenden Veränderung zeigen jedoch nur Bündnis 90 / Die Grünen und die Linke. Sie befürworten eine Erleichterung von Offenlegungen bei gravierenden Missständen (auch für Geheimdienstmitarbeitende) und die Schaffung einer unabhängigen Stelle zu Überprüfung der Einstufung von Verschlusssachen Die SPD plädiert für klare Vorgaben für öffentliches Whistleblowing und verweist im Geheimschutzbereich u.a. auf die Neuregelung des Parlamentarischen Kontrollgremiumgesetzes (PKGrG). Sie erlaubt es Angehörigen von Nachrichtendiensten ab 2022, sich anonym und außerhalb des Dienstweges an ein parlamentarisches Kontrollgremium zu wenden. Die FDP steht Offenlegungen skeptisch gegenüber und will einen Parlamentarischen Nachrichtendienstbeauftragten einsetzen.
Wenig Reformbedarf sehen die Parteien der Großen Koalition beim Recht auf Asyl für Whistleblower und verweisen stattdessen auf bestehende Regelungen – die allerdings weder Edward Snowden noch Julian Assange geholfen haben. Bündnis 90 / Die Grünen spricht sich dagegen im Wahlprogramm explizit dafür aus, Menschen wie Edward Snowden in Deutschland aufzunehmen. Linke und FPD wollen Whistleblowern ebenfalls unter bestimmten Bedingungen Schutz in Deutschland anbieten. Alle drei Parteien bleiben bei der konkreten Umsetzung aber vage.
Und nach der Wahl?
Was von ihren Inhalten werden die Parteien in der nächsten Legislatur tatsächlich umsetzen – notfalls gegen die Widerstände möglicher Koalitionspartner? Hier hilft ein Blick auf die letzte Legislaturperiode und die Wahlprogramme (siehe Synopse). Während CDU/CSU eine Einigung auf ein umfassendes Hinweisgeberschutz blockierten, legten Bündnis 90 / Die Grünen einen Gesetzesvorschlag vor, genauso wie das SPD-geführte Bundesjustizministerium. Wie sehr die SPD bei strittigen Punkten tatsächlich auf ihre Forderungen beharren wird, ist unklar. Für eine Erwähnung im (vergleichsweise kurzen) Wahlprogramm war der „Respekt“ für das Thema nicht hoch genug – anders als bei Bündnis 90 / Die Grünen, Linke und FDP. Genauso wie bei den anderen Parteien wird viel davon abhängen, ob es der Zivilgesellschaft gelingt, aufzuzeigen, dass die Parteien mit dem Thema in der Bevölkerung punkten können.