Prozessbeobachtung
War da nicht noch ein anderes Thema in den Medien und sozialen Netzwerken als die Corona-Pandemie? Vor drei, vier Wochen? Flüchtlinge? Brexit? Richtig: WikiLeaks. Und Julian Assange.
Am 24. Februar begann in London das Gerichtsverfahren, in dem über seine Auslieferung an die USA entschieden werden soll. Einige wenige Tage lang war das Interesse groß, nicht nur bei Twitter, Facebook und Co. In Deutschland erschien eine ganzseitige Anzeige in der FAZ. 130 Prominente forderten aus humanitären Gründen die sofortige Freilassung von Assange. Schnee von gestern?
Die Verhandlung gegen Assange wurde am 27. Februar unterbrochen und soll am 18. Mai fortgesetzt werden. Selbst wenn bis dahin alle Grenzschließungen und Versammlungsverbote wieder aufgehoben sind, ist sehr fraglich, ob sich dann noch einmal Journalisten und Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude drängen.
Falls dem Auslieferungsgesuch der USA im Frühsommer stattgegeben wird, wird das Verfahren alle Instanzen im Vereinigten Königreich durchlaufen und womöglich erst mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beendet werden. Wenn Assange dann noch lebt. Sein Leben ist nach Ansicht der Menschen, die persönlich mit ihm zu tun hatten, wegen seines schlechten physischen und psychischen Gesundheitszustands gefährdet. Was, wenn COVID-19 auch die Mauern des Belmarsh-Gefängnisses überwindet?
Aber selbst, wenn Assange die erwartbar lange Haft durchsteht. Wie kann das Interesse an seinem Fall über Monate und Jahre aufrecht erhalten bleiben? Wir dürfen nicht zulassen, dass Julian Assange in Vergessenheit gerät. WikiLeaks und sein Herausgeber stehen für Pressefreiheit, Aufklärung und demokratische Beteiligung der Zivilgesellschaft. Wie kann es gelingen, deren anhaltende Unterstützung zu sichern?
Whistleblower-Netzwerk wird in regelmäßigen Abständen über den Fortgang des Auslieferungsverfahrens durch alle Instanzen berichten. Und darüber, wie es Julian Assange geht. Wir beginnen hier mit dem Abdruck der Übersetzung der ausführlichen Prozessbeobachtung des ehemaligen britischen Botschafters und Historikers Craig Murray.