NSA-Ausschuss muss Snowden in Deutschland anhören

191.000 Unterschriften unter Campact-Appell für Edward Snowden an Untersuchungsausschuss übergeben

Berlin, 8.5.2014. Heute berät der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags über den Antrag, Edward Snowden anzuhören. Vor den Beratungen übergaben Bürgerrechtler über 191.000 Unterschriften an Mitglieder des Untersuchungsausschusses von SPD, Linke und Grünen. Der Appell des Kampagnen-Netzwerks Campact wurde in Kooperation mit Digitalcourage e.V. und dem Whistleblower-Netzwerk e.V. gestartet. In dem Appell wird eine vom Asylverfahren unabhängige Aufenthaltserlaubnis für Snowden verlangt, verbunden mit einem Zeugenschutzprogramm. Weiterhin fordern die Unterzeichner ein Whistleblowerschutz-Gesetz, durch das Hinweisgeber in Deutschland besser abgesichert werden sollen.

„Der NSA-Ausschuss muss Edward Snowden in Deutschland persönlich anhören, denn nur so wird er sich gänzlich frei äußern können“, forderte Katharina Nocun von Campact. „Er braucht ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in einem EU-Mitgliedsstaat, wenn Europa ernst machen will mit der NSA-Aufklärung. Angesichts der großen Aufklärungsversprechen von Union und SPD im Bundestagswahlkampf ist das jetzige Verhalten gegenüber Edward Snowden beschämend.“

„Überwachung macht Menschen unfrei, beschädigt unsere Souveränität und damit die Grundlage unserer Demokratie. Wir müssen Edward Snowden dankbar sein, dass er uns aufgeklärt hat. Wir fordern, dass Edward Snowden vom NSA-Untersuchungsausschuß gehört wird und er dauerhaft sicheren Aufenthalt in Deutschland erhält.“ so Rena Tangens, Digitalcourage. „Wir verteilen 1.000.000 Aufkleber mit der Forderung nach Asyl für Edward Snowden, die kostenlos bei Digitalcourage angefordert werden können”.

„Politische Wertschätzung, Dankbarkeit und rechtlicher Schutz gebühren nicht nur Edward Snowden, sondern jedem Whistleblower, der im öffentlichen Interesse, d.h. für uns alle, gravierende Missstände in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aufdeckt” sagte Annegret Falter, Vorstandsmitglied Whistleblower-Netzwerk. „In Deutschland gibt es weder ein Whistleblowerschutz-Gesetz, noch wird das Grundrecht des Artikel 5 auf Meinungsfreiheit von der Rechtsprechung in Whistleblower-Fällen angemessen angewendet. Hier verlangen wir konkrete Verbesserungen.“

Ausblick: Am 6. Juni jährt sich die Publikation der ersten Snowden-Dokumente in internationalen Zeitungen.

Campact-Appell und Hintergrundinformationen: www.campact.de/snowden

Aufkleber-Aktion von Digitalcourage: https://digitalcourage.de/snowden

Nachfolgend dokumentieren wir die Ansprache unseres Vorstandsmitglieds Annegret Falter anlässlich der Übergabe der Unterschriften im vollen Wortlaut:

Pladoyer für den „Bürger mit Schlapphut“

Die deutschen Bürgerinnen und Bürger, deutsche  Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler müssen gewärtig sein, dass sie  von der NSA oder befreundeten Diensten jederzeit überwacht werden können – ohne konkreten Verdacht und ohne je davon zu erfahren. Dieses Wissen verdanken sie  allein Edward Snowden. Erst aufgrund seiner Informationen konnte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gegründet und kann die Aufarbeitung von  Rechtsbrüchen  deutschen und internationalen Rechts überhaupt erst versucht werden. Hierbei spielen zum einen Detailfragen eine entscheidende Rolle, die nur Edward Snowden zuverlässig beantworten kann.

Aber offen ist bisher auch die große Frage nach dem WARUM? Warum wird dieser gigantische, Milliarden verschlingende Aufwand von den USA getrieben, warum werden immer neue riesige Speicher-Kapazitäten geschaffen, warum wollen die Amerikaner „alles“ wissen, wie der NSA-Chef einmal formuliert hat? Geht es wirklich allein um organisierte Kriminalität und terroristische Aktivitäten, mit denen der unbegrenzte Zugriff auf Daten weltweit bisher gerechtfertigt wird? Inzwischen wissen wir ja schon, dass auch Wirtschaft und Wissenschaft von den Abhörmaßnahmen betroffen sind. Der Ökonomieprofessor Elmar Altvater schrieb neulich in den Blättern für deutsche und internationale Politik über den „globalen Datenklau“: „Die Geheimdienste nehmen mit den Informationstechniken eines neuen Erdzeitalters Zugriff auf Wissen, mit dem sie die Geschicke der Menschheit kontrollieren können.“ Und er zielt damit auf die Bewältigung von Krisen aller Art, die durch den kapitalistischen Wachstumszwang fortlaufend erzeugt und verschärft werden, von der Klimakatastrophe bis hin zu Verwerfungen des Finanzsystems.

Auch hierzu muss Snowden von den Parlamentariern des PUA in Ruhe und langfristiger Sicherheit ohne politische Auflagen persönlich befragt werden können. Dies zu ermöglichen, ist die die Pflicht und politische Schuldigkeit der Bundesregierung. Und im Übrigen ein Gebot menschlichen und politischen Anstands dem Whistleblower Snowden gegenüber.

Wertschätzung, Dankbarkeit und Schutz gebühren aber nicht nur Snowden,  sondern jedem Whistleblower, der im Öffentlichen Interesse, das heißt für uns alle, gravierende Missstände und Fehlverhalten in Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft aufdeckt. Deutsche Whistleblower sind durch deutsches Recht eher noch weniger geschützt als amerikanische. Weder gibt es ein Whistleblowerschutz-Gesetz, noch wird das Grundrecht des Artikel 5 auf Meinungsäußerungsfreiheit von der  Rechtsprechung in Whistleblower-Fällen angemessen angewendet.

Die Möglichkeiten eines Mitarbeiters der deutschen Geheimdienste, Informationen über Rechtsbrüche der Dienste öffentlich zu machen, sind nicht größer als die von Snowden.

  • Wenn er oder sie von der Möglichkeit Gebrauch machen wollen, sich mit einem Hinweis an das PKG zu wenden, muss der Dienstvorgesetzte davon in Kenntnis gesetzt werden!
  • Wenn ein Mitglied des PKG von Missständen in den Diensten erfährt, hat er darüber Stillschweigen zu bewahren – andernfalls kann er mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden!

Was ist denn das für ein Verständnis von Verfassungs-„Schutz“?

Unsere Verfassung sieht den Schutz der Privatsphäre, sieht Meinungs- und Informationsfreiheit vor. Und zwar für alle Bürgerinnen und Bürger! Das scheint bei dieser unsäglichen Diskussion um die Anhörung von Snowden vor dem PUA vollends in Vergessenheit geraten zu sein.

Das mindeste, was der NSA-Ausschuss in Bezug auf Whistleblowing erbringen sollte, ist die Abschaffung der genannten Restriktionen sowohl für potentielle Whistleblower aus den Geheimdiensten, wie auch für ihre parlamentarischen Adressaten. Denkbar wäre auch ein Ansprechpartner nach dem Muster des Wehrbeauftragten, an den sich Soldaten jederzeit – auch anonym – wenden können. Wäre es nach dem Vorbild des „Bürger in Uniform“ nicht an der Zeit für den „Bürger unterm Schlapphut“?

Aber vielleicht ist es ja das, was die „politische Klasse“ in ihrer großen Mehrheit noch mehr als die konkreten Aussagen Snowdens fürchtet: Die politische Transparenz, die durch Whistleblower geschaffen würde. Das herausragende Beispiel, das Edward Snowden gegeben hat. Ganz nach der Devise: Courage is contagious – Mut ist ansteckend.

 

 

 

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