Nachlese zur Diskussionsveranstaltung“ Arbeitsrecht und Menschenwürde in der Krise“ am 1.6.2010
Veranstalter: Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt; Arbeitskreis “Arbeit-Teilhabe-Gerechtigkeit” in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Komitee “Solidarität mit Emmely”.
Thematischer Mittelpunkt der Veranstaltung bildeten Bagatell- und Verdachtskündigungen. Dabei träfen vor dem Arbeitsgericht „kriegsführenden Parteien“ aufeinander. Aufgabe der Arbeitsrichter sei es, mittels einer Waagschale die Grenzverläufe zu definieren. Die von den Richtern und Kommentatoren entwickelte Vorstellung, dass für das fortbestehen Arbeitsverhältnisse, ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ notwendig sei, gebe im Streitfalle fast regelmäßig den Ausschlag zu den verkündeten Arbeitsbeendigungen. Im Laufe der Diskussion wurde dieses von der Rechtsprechung vorausgesetztes und schützenswertes Vertrauensverhältnis kritisch hinterfragt. Dies geschah in Hinblick auf seine feudalistischen Wurzeln, der Angemessenheitsprüfung, der Möglichkeit vertrauensbildenden und heilenden Maßnahmen bis hin zur Notwendigkeit der Neudefinition des Vertrauensprinzips im Kündigungsrecht.
Ein Anwesender ehrenamtlicher Richter äußerte sein Unverständnis darüber das erst jetzt im „Fall Emmely“ eine Debatte um die Verdachts- und Vertrauenskündigung entstehe. Wie umstritten diese Rechtspraxis inzwischen in Politik und Judikative aktuell ist zeigten die ausgewählten Zitate zum „Fall Emmely“.—-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse: „Das ist ein barbarisches Urteil von asozialer Qualität.“ Worauf hin der Berliner Anwaltsverein den Rücktritt forderte sowie die Äußerungen der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Ingrid Schmidt hierzu, „Es gibt keine Bagatellen“…“. Arbeitnehmer, die ihrem Arbeitgeber etwas entwenden, zeigten ein Verhalten, das „mit fehlendem Anstand“ zu tun habe. —
Dabei war durch die Staatsanwaltschaft nicht bewiesen worden, das Emmely Ihrem Arbeitgeber etwas entwendet hatte. Die meisten Kollegen schwiegen aus Angst. Entlastende Zeugnisse zu finden wurde für Emmely schwierig. Im Zweifel für den Angeklagten? Dieser Satz aus dem Strafrecht gilt nicht so im deutschen Arbeitsrecht, dass das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung benutzt ohne das eine Straftat nachgewiesen worden sein muss. Die begründete Vermutung, dass das Mittel der Verdachtskündigung auf Grund einer Bagatelle ausgesprochen wurde, um die Bildung eines Betriebsrates zu verhindern und die übrige Belegschaft einzuschüchtern wirkte sich damals nicht prozessrelevant aus.
Die Richterin im „Fall Emmely“ urteilte auch im Fall der Whistleblowerin Brigitte Heinisch mit den Instrument des „gestörten Vertrauens“ zur Beendigung des Arbeitsverhältnis. Frau Heinisch warf man nicht vor 1,30€ sondern Informationen nach Außen getragen zu haben und wurde ebenfalls gekündigt. Die Frage an das Podium, ob den aus Sicht der Experten ein Förderung des Whistleblowertums sich nachhaltig auf die Demokratisierung des Arbeitslebens auswirken könne und sich auch im Bereich der Beweisführung in den Gerichtsprozessen zu mehr Transparenz und damit auch zu einem gerechteren Urteilsfindung führen würde blieb, von Teilnehmern des Podiums unbeantwortet. Viele Veranstaltungsteilnehmer hörten den Fachbegriff „Whistleblower“ zum ersten Mal. Ein Rechtsanwalt wiederholte inzwischen schon gebetsmühlenartig verbreitete Rechtsauffassung, dass der Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) die freie Meinungsstreitäußerung am Arbeitsplatz schützen würde und im Ergebnis Whistleblower deshalb mit ihren Anliegen nur scheitern würden, weil sie schon im Vorfeld der rechtlichen Auseinandersetzung sich im juristischen Sinne fehlerhaft verhalten würden. Frau Heinisch trat in der Diskussion einem weiteren Vorurteil gegenüber „whistleblowing“, dem Skandalisierungsvorwurf entgegen, indem sie feststellte, das nicht die Veröffentlichung von offiziell festgestellten Missständen in der Altenpflege ist in diesem Whistleblowerfall der Skandal sei, sondern der Pflegenotstand selbst der Skandal ist. Ebenso wie die Tatsache, das die Verantwortlichen die untätig blieben nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern belohnt werden und letztendlich die Justiz diesen als menschenunwürdig erlebten Treiben offenbar keinen Einhalt gebietet.
Insgesamt gab sich dass Podium optimistische in seiner perspektivischen Einschätzung. Die große Teilnehmerzahl der Veranstaltungen zu diesem Thema, als Spiegel des öffentlichen Interesses, würde die Richter zukünftig noch mehr motivieren, mehr Kreativität bei der Anwendung und Interpretation der Rechtsnormen zu zeigen und veranlassen neue Wege zu gehen. Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.) sprach sich gegen weitere Lockerungen des Kündigungsschutzes aus. Dr. Ingrid Artus betonte die immer häufiger gezeigte Zivilcourage von immer mehr Frauen im Arbeitsleben und sprach sich für die Entlohnung von Hausarbeit aus, um hier den Druck vom Arbeitsmarkt zu nehmen. Rechtsanwalt Staehle verwies auch auf die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer, der das Vertrauen in seinen Prinzipal verloren habe auch in das Recht besitze zu kündigen. Insgesamt wurde deutlich dass auf Seiten des Podiums ein uneingeschränktes Vertrauen in die Personen und Gesetze der Rechtsfindung und Rechtsprechung, ja in das gesamte Justizsystem bestehe und es gälte lediglich an einzelne Stellen nachzujustieren und Richter zu motivieren. Auf der Seite der Teilnehmer fanden tiefe Betroffenheit, Entsetzen, Unverständnis und Empörung ihren sprachlichen Ausdruck. Es wurde vereinzelt die Abschaffung der Verdachts- und Bagatellkündigung gefordert.
Emmely als Auslöser der Diskussion und gleichzeitig Betroffene ergriff nicht das Wort, überließ das Reden dem Diskutanten. Mittels Stellwänden informierte sie über ihren Rechtsstreit mit dem Lebensmittelhändler „Kaisers“. Emmely erfuhr uneingeschränkt wohlwollende Sympathy und Solidarität. In den Gesprächen änderte sich die Begrifflichkeiten. Von dem „Fall Emmely“ hin, zu den „vielen Emmely´s in Deutschland“ die das gleiche Schicksal teilen.
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Ausblick:
Die Leute vom Solidaritäts-Komitee werden am 10. Juni zur Revisionsverhandlung von Emmelys Kündigungsschutzklage in Erfurt sein und freuen sich, wenn viele Menschen Emmely begleiten. Wir zitieren aus deren Email:
So sieht unsere Zeitplanung für den 10. Juni aus:
– 10 Uhr Kundgebung
auf dem Vorplatz des Bundesarbeitsgerichts
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 ErfurtWir denken, dass es dem Anlass angemessen ist, nicht einfach nur dem Prozess bei zu wohnen, sondern vorab unsere Erfahrungen mit und Erwartungen an die Arbeitsrichter aus zu drücken. Wir hoffen, dass Ihr Euch daran beteiligt.
– 11:30 Prozessbeginn
Der Prozess ist öffentlich. Wir freuen uns über Publikum, denn die Debatte der letzten zwei Jahre zeigt: Den Arbeitsgerichten auf die Finger gucken, ist dringend geboten.Uns wurde gesagt, dass an dem Tag extra eine mobile Einlassschleuse aufgebaut wird. Die Polizei wird da sein. Das alles ist in Erfurt wohl nicht üblich, wir wissen auch nicht, wozu das gut sein soll, aber so sei es. Vielleicht hat jemand Angst? Die Plätze im Saal werden nach dem nach dem Prinzip, wer zuerst kommt, bekommt die Plätze vergeben, eine Reservierung gibt es fürs Publikum nicht.
– ??:?? Urteilsverkündung
Es ist unklar, wie lange die Verhandlung dauern wird und wann das Urteil verkündet wird. Es könnte auch vertagt werden.– ??:?? + 30 Minuten: Pressekonferenz beim DGB nach der Urteilverkündung/Verschiebung:
– 17:00 Kundgebung des Erfurter Bündnisses für soziale Gerechtigkeit Auf dem Erfurter Anger, in der Innenstadt Erfurts, etwa 2 km vom Bundesarbeitsgericht entfernt.
Seit langem findet jeden Donnerstag um 17 Uhr in Erfurt eine Kundgebung des Bündnisses für soziale Gerechtigkeit statt. Wir werden dort hingehen und über den Prozess und unsere Erfahrungen mit der Kampagne gegen Bagatell- und Verdachtskündigung berichten.
– In Berlin gibt es um 18 Uhr eine Kundgebung vor dem Kaisers an der Revaler Straße//Wahrschauer Straße, um die Meinung zum Ausgang des Urteils öffentlich auszudrücken.