Brigitte Heinisch

Brigitte Heinisch

Die Berliner Firma Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH setzt in ihren Seniorenheimen zu wenig Pflegepersonal ein. Das wirft Brigitte Heinisch ihrem Arbeitgeber vor. Die dadurch entstandenen Zustände sind für die Altenpflegerin nicht mehr haltbar, doch ihr internes Beharren auf mehr Ressourcen wird nicht gehört. Sie erstattet Strafanzeige und durchlebt einen jahrelangen Rechtsstreit, der sie bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führt. Durch dessen wegweisendes Urteil darf sie sich heute ein wenig als Gewinnerin fühlen.

Ihr Erfahrungsbericht

Vor genau 10 Jahren – 2007 – wurde ich mit dem Whistleblower-Preis der VDW und der IALANA ausgezeichnet. Es fühlte sich gut und richtig an. Ich befand mich noch mitten in einen nicht enden wollenden Arbeitsgerichtsprozess. Damals hatte ich noch Hoffnung an meinen alten Arbeitsplatz und in mein gewohntes Leben zurückkehren zu können.

Aber ich rutschte immer mehr in eine Welt ab, die mit meiner alten Welt, wo Familie, Beruf und Alltag im Vordergrund standen, nichts mehr zu tun hatte. Dort wurde ich zwar auch durch Menschen, die mir solidarisch zur Seite standen, ein Stückweit aufgefangen. Trotzdem fühlte ich mich wie eine Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel.

Immer wieder keimte die Hoffnung auf diese Insel verlassen zu können. Sie hat sich bis heute nicht erfüllt. Ich habe für die Veröffentlichung der Missstände im Altenpflegebereich einen hohen Preis bezahlt. Da helfen auch keine Auszeichnungen, Abfindungen, unzählige Medienberichte und Talkshows drüber hinweg. Das alles hat mit meinem alten Leben nichts zu tun und füllt mein neues Leben auch nicht aus.

„Ich habe nicht nur meinen Arbeitsplatz verloren, sondern auch mein altes Leben. Wofür? Dass ich heute sagen kann: Ich bin meinem Gewissen gefolgt und würde es wieder tun.

Ich fühle mich von Teilen der deutschen Politik und Justiz diskriminiert. Erst durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte musste sich die deutsche Justiz mit dem Fall Heinisch neu befassen.

Aber anstatt mich vorbehaltlos zu rehabilitieren, wurde ich durch einen deutschen Richter erneut so behandelt, dass ich es als diskriminierend und bedrohlich empfand. Er stellte mir in Aussicht, dass, wenn ich nicht zum Vergleich bereit sei, das Verfahren sich noch über Jahre hinziehen könne. Der Wunsch, vielleicht doch noch einen Teil von meinem alten Leben
wiedergewinnen zu können, erfüllte sich nicht.

Und die Zustände in der Altenpflege: Wenn ich für mein Whistleblowing schon so einen hohen Preis zahle, hat sich denn für die Altenpflege etwas geändert? Wenn ich den Medienberichten und den Schilderungen vieler in der Pflege Tätigen folge und wenn nun schon für eine auch nur minimal zum Wohl der Patienten verbesserte Pflege gestreikt werden muss, dann hat sich nicht viel geändert. Ich höre von Kollegen, die, wenn sie nur Kritik andeuten, argwöhnisch beobachtet und gemobbt werden. Ein Offenlegen von Missständen, oder diese gar in die Öffentlichkeit zu bringen, wird für den Einzelnen immer riskanter. Ich hatte Glück im Unglück. Mir standen große Teile der Zivilgesellschaft solidarisch zur Seite. Aber auf der anderen Seite standen gewählte Politiker und Richter, die in meinem Fall aufgrund ihres Bewertungsspielraumes sehr viel Macht besaßen und diese auch ausgenutzt haben.“

Zusammenfassung

Aufgedeckte Missstände

Mangelhafte Versorgung von Pflegeheim-Bewohner*innen wegen Unterbesetzung

Rolle der Whistleblowerin

  • Mehrfache interne Beschwerden
  • Verfassen zweier Überlastungsanzeigen
  • Erstatten von Strafanzeige gegen das Pflegeunternehmen Vivantes
  • Austragen des Rechtsstreit bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
    → Urteil: Offenlegung von Missständen durch die Meinungsfreiheit geschützt

Folgen für die Whistleblowerin

  • Mobbing/ Einschüchterungsversuche
  • Verschlechterung der psychischen und körperlichen Gesundheit
  • Fristlose Kündigung
  • Jahrelanger Rechtsstreit gegen Vivantes

Gesellschaftliche Folgen

  • Wegweisendes EGMR-Urteil zum rechtlichen Schutz von Whistleblowern
  • Öffentliche Debatte über Personalmangel in der Pflegebranche

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