Cum-Ex und Wirecard, Rechtsextreme in der Bundeswehr und Missstände in der Altenpflege belegen überzeugend, welch entscheidende Rolle Whistleblower bei der Aufdeckung gravierender Fehlentwicklungen spielen. Durch ihre Enthüllungen stärken sie den demokratischen Diskurs und ermöglichen Rechenschaftslegung und Veränderung. Leider wird der Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz dem nicht gerecht, wie Fachjuristen und Betroffene anlässlich der Öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zum Hinweisgeberschutzgesetz (19.10.2022) in Podcast-Interviews von Whistleblower-Netzwerk erläutern.
Interview zum sachlichen Anwendungsbereich und zu Offenlegungen mit Dr. Simon Gerdemann (Fachjurist)
Meldungen zu Missständen, die nicht straf- oder bußgeldbewährt sind, sollen laut Regierungsentwurf nicht in den Schutzbereich des Gesetzes fallen. Dabei weisen Whistleblower durch ihre Aufdeckungen auch auf Regelungslücken und grundlegende Fehlentwicklungen hin, über die in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert werden muss. Es bedarf daher zwingend einer Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sonstiges erhebliches Fehlverhalten.
Außerdem will der vorliegende Regierungsentwurf Offenlegungen nur in sehr eng definierten Ausnahmefällen schützen, u.a. bei einer „unmittelbare[n] oder offenkundige[n] Gefährdung des öffentlichen Interesses“ (§ 32 HinSchG-E). Damit Whistleblower ihrer Funktion als „Demokratiehelfer“ gerecht werden können, müssten aber das „demokratische Interesse“ und das „Interesse der Öffentlichkeit“ uneingeschränkt als Offenlegungsgründe in das Hinweisgeberschutzgesetz aufgenommen werden, wie im Podcast-Interview Dr. Simon Gerdemann, Wissenschaftlicher Leiter eines DFG-geförderten Forschungsprojekts zum deutschen und europäischen Whistleblowing-Recht, im Podcast-Interview mit Annegret Falter, darlegt.
Interview zu Whistleblowern aus dem Geheimschutzbereich mit Christian Thönnes (Fachjurist)
Die Meldung von Missständen im Geheimschutzbereich ist im Regierungsentwurf weitgehend vom Schutzbereich des Gesetzentwurfes ausgenommen, der Bereich der nationalen Sicherheit sogar komplett (§ 5 HinSchG-E). So fallen Informationen aus Verschlusssachen nur in den Schutzbereich des Gesetzes, wenn sie sich auf die unterste Geheimhaltungsstufe – „Nur für den Dienstgebrauch“ – beschränken, Straftaten betreffen und absolut behördenintern bleiben. Sie dürfen auch nicht aus dem Dunstkreis der Nachrichtendienste oder der nationalen Sicherheit stammen. Die Entscheidung darüber, welche Sachverhalte als Verschlusssache oder Angelegenheit der nationalen Sicherheit deklariert werden, obliegt dabei der Exekutive, wie im Podcast-Interview Christian Thönnes vom Freiburger Max-Planck-Institut ausführt. Damit folgt der Gesetzentwurf dem überkommenen Muster, Whistleblowing da zu instrumentalisieren, wo es den Staat von seinen Kontrollfunktionen entlastet, aber zu behindern, wo es dem Geheimhaltungsbedürfnis der Politik zu nahetritt.
Interview zu Schutz- und Unterstützungsmaßnamen mit Martin Porwoll (Whistleblower)
Externe staatliche Meldestellen sollten Whistleblower durch einstweilige Anordnungen umfassend vor arbeitsrechtlichen Vergeltungsmaßnahmen schützen können und so dem strukturellen und wirtschaftlichen Machtungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber entgegenwirken, wie im Podcast-Interview Martin Porwoll, Whistleblower im Bottroper Zyto-Skandal, beispielhaft anhand seiner Erfahrungen veranschaulicht. Zudem kritisiert er zurecht, dass kein Unterstützungsfonds für Whistleblower vorgesehen ist. Aus einem derartigen Fonds könnten Entschädigungen sowie rechtliche und psychologische Beratung geleistet werden, ähnlich wie in der EU-Whistleblowing-Richtlinie angeregt.
Interview zum Hinweisgeberschutzgesetz mit Jana Wömpner (Sachverständige des DGB-Bundesvorstands)
Im Podcast-Gespräch erläutert Jana Wömpner, Referatsleiterin für das Individualarbeitsrecht beim DGB-Bundesvorstand und Sachverständige in der öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zum Hinweisgeberschutzgesetz, u.a., warum das Maßregelungsverbot keinen ausreichenden Schutz für Whistleblower bietet. Betriebsräte nehmen ihrer Einschätzung nach eine wichtige Rolle beim Hinweisgeberschutz ein. Sie spricht sich für verpflichtende Schulungen und ein Sonderkündigungsrecht für interne Whistleblowing-Beauftragte aus. Ihr Gesprächspartner WBN-Schatzmeister, Dr. Detlev Böttcher, ergänzt mit Einblicken aus seiner Berufserfahrung als lntegritätsberater bei der GIZ.
Dass Menschen den Mut aufbringen, Rechtsverstöße und andere Missstände im öffentlichen Interesse aufzudecken, ist nicht voraussetzungslos. Die Gesellschaft muss Whistleblowern durch entsprechende rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen signalisieren, dass ihr Wirken erwünscht ist. Der vorgelegte Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz stellt hier zwar eine Verbesserung gegenüber dem Status quo dar, sollte aber im Zuge der parlamentarischen Beratungen an einigen Stellen deutlich nachgebessert werden.