Der Bundestag hat die für heute vorgesehene Verabschiedung ein längst überfälliges Hinweisgeberschutzgesetz zur Umsetzung EU-Whistleblowing-Richtlinie vertagt. Leider wird es nur die rechtliche Situation von denjenigen Whistleblowern verbessern, die bestimmte Rechtsverstöße an eine (organisations-)interne oder an eine externe (staatliche) Meldestelle melden wollen. Der Bedeutung für den Journalismus und damit für die Demokratie wird das Gesetz nicht gerecht.
„Das Gesetz genügt weder dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit für Whistleblower noch dem Informations- und Partizipationsanspruch einer demokratischen Gesellschaft“, sagte die Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk, Annegret Falter. „So als seien NSA-Skandal, Missbrauch in der katholischen Kirche, Vernachlässigungen in der Altenpflege oder systematische Steuerhinterziehungsmodelle nicht allein durch Whistleblowing öffentlich verhandelbar geworden.“
Die Ampel-Fraktion will öffentliches Whistleblowing nur in Ausnahmefällen schützen, wenn nicht-öffentliche Meldekanäle nicht reagieren oder wenn eine „unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses“ droht (§32 HinSchG). Hinweise zu Fehlverhalten oder erheblichen Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße fallen, anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, nicht in den Schutzbereich des Gesetzes.
„Mit diesem Gesetz scheitert die Ampel-Koalition an ihrem Anspruch, eine Vorreiterrolle beim Schutz von Freiheitsrechten, insbesondere der Pressefreiheit, einzunehmen“, kritisierte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Regierung hat im Koalitionsvertrag versprochen, dass das besondere öffentliche Interesse ausschlaggebend für den Schutz von Hinweisgebenden sein würde – von diesem Anspruch ist das Hinweisgeberschutzgesetz in seiner aktuellen Form weit entfernt.“
Erschwerend hinzu kommen die weitgehenden pauschalen Ausschlusstatbestände für den Geheimschutzbereich. Bei Verschlusssachen soll geschütztes Whistleblowing allenfalls intern erfolgen dürfen, Angelegenheiten der nationalen Sicherheit sind vollständig vom Schutzbereich des Gesetzes ausgenommen. Die vorgesehene Regelung schafft damit einen Anreiz, strittige und illegitime Dinge zur Verschlusssache oder Angelegenheit der nationalen Sicherheit zu erklären und so gegen Whistleblowing zu „immunisieren“. Bereits jetzt werden in Ermangelung klarer Vorgaben und unabhängiger Kontrollen unverhältnismäßig viele Informationen als Verschlusssache eingestuft und so der journalistischen und öffentlichen Kontrolle entzogen.
Dabei geben Whistleblower oft den Anstoß zu kritischen Recherchen. Durch ihre Zusammenarbeit mit Journalist*innen erfährt die Gesellschaft oft erst von politischen und wirtschaftlichen Skandalen, Machtmissbrauch und staatlichem Kontrollversagen. Sie enthüllen, wo Regelungslücken bestehen und wo geltendes Recht technischen, sozialen und politischen Entwicklungen hinterherhinkt. Whistleblower und Journalist*innen stärken so den öffentlichen Diskurs und ermöglichen es, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen und Missstände abzustellen. Auch der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) hat dies erkannt und in seiner bahnbrechenden Entscheidung im Fall des LuxLeaks-Whistleblowers Raphaël Halet am 14. Februar 2023 das erhebliche öffentliche Interesse an der Offenlegung derartiger Informationen betont.
Whistleblower Netzwerk und Reporter ohne Grenzen hoffen, dass auch nach der Verabschiedung des Hinweisgeberschutzgesetzes das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Der Bundestag hat die Bundesregierung in seinem Beschluss vom 16.12.2022 aufgefordert, weitere Aspekte des Hinweisgeberschutzes in einem neuen Gesetzgebungsprozess aufzugreifen. Dies böte, ebenso wie die von EU-Richtlinie vorgesehene Evaluation der nationalen Umsetzungsgesetze (Art. 27 HinSch-RL), die Möglichkeit, die Mängel des Hinweisgeberschutzgesetzes zu beheben und für einen wirklich umfassenden Whistleblowerschutz zu sorgen.
Weitere Informationen
- Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen (14.03.2023)
- WBN-Pressemitteilung und Stellungnahme für die zweite Öffentliche-Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (27.03.2023)
- WBN-Pressemitteilung zur ersten Lesung des Bundestags (15.03.2023)
- EGMR: Recht von Whistleblowern auf Offenlegung von Informationen im LuxLeaks-Fall Halet gestärkt (Video der Veranstaltung vom 21.3.2023)
- WBN-Pressemitteilung zur EGMR-Entscheidung im Fall Halet gegen Luxemburg (14.02.2023)
- RSF-Pressemitteilung zum Bundestagsgesetzesbeschluss (16.12.2022)
- WBN-Pressemitteilung zum Bundestagsbeschluss (16.12.2022)
- WBN-Pressemitteilung zur ersten öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (19.10.2022)
- Podcast-Interviews zum Regierungsentwurf
Kontakt:
Whistleblower-Netzwerk e.V. (WBN)
Kosmas Zittel, Geschäftsführer
zittel@whistleblower-net.de
Tel: +49 176 84915150
Reporter Ohne Grenzen (RSF)
Fabio Niewelt, Pressereferat
Fabio.Niewelt@reporter-ohne-grenzen.de
Tel.: +49 151 72480936