Freilassung von Julian Assange
Sehr geehrte Frau Bundesaußenministerin,
die Auslieferung von Julian Assange hängt von der Entscheidung der britischen Regierung ab, die bis zum 17. Juni 2022 fallen soll. Wir bitten Sie daher, sich zeitnah und energisch bei der britischen Regierung für die Freilassung von Julian Assange einzusetzen. Mit Blick auf das in Deutschland geplante Hinweisgeberschutzgesetz macht der Fall außerdem deutlich, dass Whistleblower:innen auch im Bereich der nationalen Sicherheit rechtssicher geschützt werden müssen. Hier hoffen wir auf Ihre Unterstützung.
Assange wird seit zehn Jahren in London faktisch festgehalten, seit 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Obwohl er Kriegsverbrechen und Korruption aufgedeckt hat und die Öffentlichkeit erst durch ihn ein ungeschöntes Bild des Afghanistan- und Irakkrieges erlangen konnte, droht ihm bei einer Auslieferung an die USA eine drakonische Bestrafung nach dem Espionage Act. Die Whistleblowerin und ehemalige US-Soldatin Chelsea Manning, die Informationen über beide Kriege an WikiLeaks weitergegeben hat, wurde auf der Grundlage dieses Gesetzes zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
In einem obskuren Verfahren haben britische Gerichte Rechtsbehelfe gegen Assanges Auslieferung verworfen, zu Unrecht. Eine Deportation würde ihn erneut schwer in seinen Menschenrechten verletzen – auch in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung, das durch die Europäische Konvention für Menschenrechte auch in Großbritannien geschützt wird. In einer demokratischen Gesellschaft besteht ein ganz erhebliches Informationsinteresse an der Aufdeckung schwerwiegender Rechtsverletzungen und Missstände, gerade im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen. Das hat Assange getan und wird dafür bestraft.
Da die Auslieferung unmittelbar droht, sollten Sie zeitnah öffentlich und auf diplomatischen Wegen für Julian Assanges Freilassung eintreten. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats Dunja Mijatović hat die britische Innenministerin Priti Patel bereits aufgerufen, einer Auslieferung nicht zuzustimmen. Folgen sie ihrem Beispiel, Frau Außenministerin, beziehen Sie öffentlich Stellung und schöpfen Sie Ihre Mittel aus, damit Assange sofort freigelassen wird. Genau das hatten Sie vor der Bundestagswahl gefordert und sich der entsprechenden Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderberichterstatters über Folter Nils Melzer klar und deutlich angeschlossen.
Whistleblower:innen in Deutschland brauchen Schutz
Auch in Deutschland müssen wir aus dem Fall Assange lernen und die nötigen gesetzgeberischen Konsequenzen ziehen. Wir rufen Sie in diesem Kontext dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Whistleblower:innen im Bereich der nationalen Sicherheit künftig rechtssicher geschützt werden und dies auch nicht pauschal ausgeschlossen ist, wenn Verschlusssachen aufgedeckt werden.
Leider lässt der aktuelle Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes aus dem BMJV genau das vermissen. Die Meldung von Verschlusssachen wird ausdrücklich nicht erfasst. Zudem würde das Gesetz auf Personen, die beispielsweise im Bereich der Verteidigung oder der Nachrichtendienste tätig sind, keine Anwendung finden. Dies haben wir in einer Stellungnahme dargestellt (s. Anlage). Damit würden hinweisgebende Personen wie die ehemalige Soldatin Chelsea Manning durch das Raster fallen und zugleich auch jene Menschen in das Visier der Strafverfolgung geraten, die wie Julian Assange weitergegebene Informationen über Rechtsverstöße in der Rolle eines „public watchdog“ veröffentlichen.
Im Gegensatz dazu sieht der Entwurf eines „Whistleblower-Schutzgesetzes“ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 26. September 2018 (BT-Drs. 19/4558), den Sie mitgetragen haben, zu Recht keine derartigen Beschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs vor. Zu Recht auch deshalb, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Bucur und Toma gegen Rumänien aus dem Jahr 2013 entschieden hat, dass auch solche Personen durch die Meinungsäußerungsfreiheit geschützt werden, die als Whistleblower:innen missbräuchliche Praktiken von Nachrichtendiensten offenlegen. Des Weiteren hat auch die parlamentarische Versammlung des Europarats in ihren Resolutionen 1954 (2013) und 2016 (2015) dazu aufgerufen, einen angemessenen gesetzlichen Schutz von Hinweisgeber:innen im Bereich der nationalen Sicherheit zu gewährleisten.
Bitte setzen Sie sich für Julian Assange und die Menschenrechte ein. Tragen Sie dazu bei, dass Meinungs- und Informationsfreiheit weder in seinem Fall noch bei dem anstehenden Gesetzesvorhaben auf der Strecke bleiben und Transparenz als Grundkonstante unserer Demokratie gestärkt wird.
Wir freuen uns über eine Antwort und stehen gerne bereit, um uns mit Ihnen zu diesen Themen auszutauschen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Hartmut Bäumer
Vorsitzender Transparency Deutschland
office@transparency.de
Tel.: +49 30 549898-0
Annegret Falter
Vorsitzende Whistleblower-Netzwerk
falter@whistleblower-net.de
Tel: +49 170 2965660