Aufforderung an die Bundesregierung: Setzen Sie sich für die Wahrung der Kommunikationsgrundrechte in der EU-Verordnung gegen terroristische Online-Inhalte ein!
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Christine Lambrecht,
sehr geehrter Herr Bundesminister Horst Seehofer,
Wikimedia Deutschland, Reporter Ohne Grenzen, der Deutsche Journalisten-Verband, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di und Whistleblower Netzwerk e.V. befassen sich mit dem Entwurf der Europäischen Kommission über die Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte [COM(2018) 640]. Als Organisationen, die sich für den freien Zugang zu Informationen, für freie Meinungsäußerung, für die Presse- und Rundfunkfreiheit einsetzen, sind wir überzeugt, dass der Verordnungsvorschlag der Kommission die Kommunikationsgrundrechte unverhältnismäßig einschränkt. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich im Rahmen der Trilog-Verhandlungen, die jetzt unter kroatischer und ab dem zweiten Halbjahr 2020 unter deutscher Präsidentschaft stattfinden, für umfassende Nachbesserungen einzusetzen.
Wikipedia und andere freie Wissensprojekte fallen derzeit vollständig in den Geltungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung. Auch sind journalistische Inhalte und Whistleblowing nicht explizit ausgeschlossen. Das kann den freien Zugang zu Informationen, die freie Meinungsäußerung, die Presse- und Rundfunkfreiheit empfindlich einschränken. Wir schließen uns deshalb insoweit dem Änderungsvorschlag des EU-Parlaments an und plädieren dafür, Inhalte, die für Zwecke der Bildung, Kunst, Presse, Rundfunk oder Forschung oder für Zwecke der Sensibilisierung für terroristische Aktivitäten verbreitet werden, sowie Inhalte, durch die polemische oder kontroverse Ansichten im Rahmen der öffentlichen Debatte zum Ausdruck gebracht werden, ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung herauszunehmen. Dasselbe sollte für Anbieter von Cloud-Infrastruktur und Cloud-Anbieter sowie für Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste gelten. Darüber hinaus sollte der Ausschluss aus dem Anwendungsbereich der Verordnung analog § 1 NetzDG auch für nichtkommerzielle Plattformen gelten, sowie für Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten.
Auch bereitet uns die Definition des „terroristischen Inhalts“ im Entwurf der Kommission Sorgen, der unbedingt enger und klarer gefasst werden sollte. Die „Befürwortung“ terroristischer Straftaten stellt demnach einen „terroristischen Inhalt“ dar, ebenso die „Ermutigung“ an terroristischen Straftaten mitzuwirken oder die „Förderung der Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung“. Diese Begriffe sind zu unbestimmt. Ihre Ungenauigkeit ermöglicht es, Handlungen der Meinungsäußerung beliebig darunter zu subsumieren und z. B. Tatbestände zu erfassen, in denen es etwa lediglich um Sympathiebekundungen für (vermeintlich terroristische) Organisationen geht. Die Definition terroristischer Inhalte muss aber dringend auf offensichtlich illegale Handlungen wie die Anstiftung und Beihilfe beschränkt bleiben. Das gilt schon deshalb, weil bereits durch die Formulierung des Verordnungstextes sichergestellt sein muss, dass ein Missbrauch der vorgesehenen Regelungen in keinem Mitgliedstaat eine Einschränkung der Kommunikationsgrundrechte rechtfertigen kann.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verordnung nach gegenwärtigem Stand die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inhalte weitgehend auf die Plattformen und Dienste überträgt. In der Praxis wird das mit einer Vorfilterung, also mit sogenannten Uploadfiltern funktionieren (was die Verordnung auch ausdrücklich empfiehlt). Je unschärfer die Begriffe sind, desto mehr muss gefiltert werden und das nach öffentlich unbekannten Kriterien, die die Plattformen intern festlegen. Das kann und wird in dieser Gemengelage einer Zensur gleichkommen. Neben einer schärferen Begrifflichkeit fordern wir deshalb in Anlehnung an das EU-Parlament eine menschliche Aufsicht und Überprüfung der Entscheidung, Inhalte zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.
Des Weiteren ist die im Kommissionsvorschlag vorgesehene Löschanordnung von einer Stunde zu kurz bemessen. Wir schließen uns hier den Formulierungsvorschlägen an, wonach terroristische Inhalte “schnellstmöglich” zu löschen sind. Auf Basis einer absoluten Zeitvorgabe ist eine Prüfung für die Plattformbetreiber in Zweifelsfällen nicht sachgerecht möglich. Auch sollten nur Behörden im Niederlassungsstaat des Anbieters eine solche Anweisung treffen können. Da mit der Löschanordnung in Kommunikationsgrundrechte eingegriffen wird, ist darüber hinaus zwingend ein Richtervorbehalt nötig, da die Kommunikationsgrundrechte für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend sind. Die Unterscheidung zwischen einer noch zulässigen Meinungsfreiheit und einer unzulässigen Straftat im Sinne der Vorschrift ist nicht immer leicht zu fällen und bedarf einer unabhängigen, fachlich fundierten Überprüfung. Behörden sind keine unabhängigen Organe und außerdem fehlbar.
Zuletzt sollten für den Inhalteanbieter, dessen Inhalte infolge einer Löschanordnung entfernt oder gesperrt wurden und für den Hostingdiensteanbieter, der eine Entfernungsanordnung erhalten hat, geeignete Rechtsmittel vorgesehen werden. Die Mitgliedstaaten müssen verpflichtet werden, wirksame Verfahren für die Ausübung dieses Rechts zu schaffen. Deutschland spielt in der Trilog-Debatte eine wichtige Rolle und hat die Chance, aktiv Einfluss zu nehmen für einen besseren Schutz der Kommunikationsgrundrechte. Wir fordern Sie auf, diese Chance zu nutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Wikimedia Deutschland e. V.
Reporter ohne Grenzen
Deutscher Journalisten-Verband
Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di
Whistleblower Netzwerk e. V.