Kieler Ermittler bestehen auf die Berücksichtigung von entlastenden Beweisen und werden im Gegenzug massiv von ihrem Vorgesetzten unter Druck gesetzt. Publik wird dies nur Dank eines Whistleblowers. Was war passiert? Nach einem Überfall mit zweifacher schwerer Körperverletzung kommt es im Januar 2010 in Kiel zur Verhaftung von zwei Mitgliedern einer Rockerbande. Ein Informant leitet anschließend eine entlastende Aussage an einen V-Mann-Führer weiter, der diese wiederum an die zuständigen Ermittler weitergibt. Den Beamten wird es jedoch untersagt, die Beweise zu den Akten zu nehmen. Beide Ermittler insistieren, woraufhin die Beweise schließlich doch anerkannt, die Ermittler aber gegen ihren Willen versetzt werden.
„Unterdrückung möglicher entlastender Hinweise in einem Strafverfahren, Mobbinghandlungen zum Nachteil von zwei ehemaligen Ermittlungsbeamten sowie die Bildung eines Netzwerkes zur Einflussnahme auf Personalentscheidungen“
Daraufhin leitet der Schleswig-Holsteinische Landtag 2018 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein. Die Vorwürfe an die Landespolizei lauten u.a. „Unterdrückung möglicher entlastender Hinweise in einem Strafverfahren, Mobbinghandlungen zum Nachteil von zwei ehemaligen Ermittlungsbeamten sowie die Bildung eines Netzwerkes zur Einflussnahme auf Personalentscheidungen“. Im Juli 2018 stellt zudem Sonderermittler Klaus Buß ein vom Landesinnenministerium beauftragtes Gutachten vor, jedoch ohne es der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Rund ein Jahr später, im August 2019, gibt ein Whistleblower den vollständigen, ungeschwärzten Bericht an die Kieler Nachrichten weiter. Sonderermittler Buß kommt darin zu einem deutlich härteren Urteil über das Fehlverhalten in der Führungsetage und die Missstände in der Landespolizei, als es in seiner öffentlichen Vorstellung des Berichts im Juli 2018 schien. Unter anderem schreibt er, Jörg Muhlack, ehemaliger Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, habe Landespolizeidirektor Ralf Höhs „unbedingt in die Position des Landespolizeidirektors hieven woll[en]“. Daher habe er Innenminister Andreas Breitner nur unzureichend über die Mobbing-Vorwürfe gegen Ralf Höhs informiert. Inzwischen wurde Ralf Höhs als Landespolizeidirektor abgelöst.
Da sich der Whistleblower offenbar nicht die erforderliche „Zustimmung der herausgebenden Stelle“ eingeholt hat, Buß‘ Gutachten an die Kieler Nachrichten weiterzugeben, will Innenminister Hans-Joachim Grote nun Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats erstatten. Wieder einmal zeigt sich, wie fragwürdig es ist, wenn die herausgebenden staatlichen Stellen selbst über eine Einstufung als „VS-Vertraulich“ entscheiden dürfen. Ob der Whistleblower nach der nationalen Umsetzung der am 7. Oktober verabschiedeten EU-Richtline zum Whistleblowerschutz besser geschützt wäre, bleibt abzuwarten. Den Gang an die Presse sieht die EU-Richtlinie auch nur in stark eingeschränkten Fällen als schützenswert. Zumal die EU-Richtlinie nicht für unter Verschluss gestellte Dokumente gilt – was im Fall des Gutachtens zutrifft. Auch hier wird interessant sein, wie die Bundesregierung in der nationalen Gesetzgebung den Umgang mit Verschlusssachen regeln wird.