Im Zuge von neuen Diskussionen um eine Rechtsausschuss-Sondersitzung zur Causa „netzpolitik.org“ hat Renate Künast anscheinend ihre bisherige Linie zur Informationspflicht gegenüber dem Bürger verlassen.
Das ist wohl mit den kommenden Bundestagswahlen zu erklären.
Und ihr Zurückrudern damit, dass auch das Gebaren ihres Nachfolgers Heiko Maas beraten wurde.
Bereits im vorigen Jahr, am 19. August, fand die Sondersitzung des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Renate Künast statt, die sich mit der Affäre um den angeblichen Landesverrats durch netzpolitik.org befasste – und nun wieder öffentlich diskutiert wird.
Damals wurde gegen Mitglieder der Redaktion wegen Geheimnisverrats ermittelt, weil sie die ihnen (von einem Whistleblower) zugespielten Ausschnitte aus geheimen Haushaltsplänen des Verfassungsschutzes publizierten, die belegten, dass die Antwort der Bundesregierung auf die Snowden-Enthüllungen im Aufrüsten der Geheimdienste bestand.
Es folgten öffentliche Proteste, schließlich wurde das Verfahren eingestellt. Einen tiefen Fall erlebte Generalbundesanwalt Range, der seinen Job verlor, weil er die Ermittlungen veranlasst hatte.
Sein Wort stand gegen das Wort des Justizministers Heiko Maas.
Der genaue Ablauf der Sondersitzung, die der Wahrheitsfindung dienen sollte, ist im Wortlautprotokoll erst jetzt – über ein Jahr später – aus dem Justizministerium auf Aufforderung an die Redaktion von netzpolitik.org übermittelt worden. Durch einen Fehler:
Als eine Sprecherin des Justizministeriums sich gegen die wiederaufkommenden Vorwürfe an Minister Heiko Maas wegen „in Strafvereitelungsabsicht veranlasster Beweismittelunterdrückung“ – hier in Form der Weisung gegenüber Range zur Kassierung eines Gutachtens – verwahrte, verwies sie zur Überprüfung der Argumentationslinie auf das „öffentlich einsehbare Protokoll“ jener Sitzung (siehe: tagesspiegel.de/ Affäre-Landesverrat).
Üblicherweise weigern sich staatliche Stellen einschließlich der Bundestagsverwaltung strikt, die Protokolle nichtöffentlicher Ausschusssitzungen an die Presse zu geben.
Nachdem netzpolitik.org das Protokoll-Nr. 18/63 nach Erhalt im Folgenden nicht nur einsah, sondern auch auf der eigenen Website veröffentlichte, empörte Renate Künast sich in einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert:
„Als Vorsitzende eines Bundestagsgremiums wundere ich mich, wie ein Ministerium ein nichtöffentliches Protokoll des Bundestags einfach mal in die Öffentlichkeit geben kann“.
Um die Empörung der ehemaligen Verbraucherschutzministerin, die während ihrer Karriere verschiedentlich für weitreichende Informationsfreiheitsgesetze eintrat, nachvollziehen zu können, lohnt die Analyse ihrer persönlichen Beziehungen zu Maas (siehe: shz.de/Maas-sollte-zurücktreten und sueddeutsche.de/Ex-Verbraucherministerin-Künast).
Sie sieht den Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz vor allem als einen Amtsnachfolger, der „immer auf halber Strecke anhält“.
Und wenn er konsequent interveniert, wie wohlmöglich geschehen in der Causa Netzpolitik oder – anderweitig im „Fall Gina Lisa Lohfink“, dann riecht es, in den Vorwehen des Wahlkampfs 2017, nach Kompetenzüberschreitungen.
Hier werden offenbar zum Teil Stellvertreterkriege ausgefochten.
Deswegen ruderte Künast im Brief an Lammert später selbst wohl auch zurück: „Obwohl ich persönlich die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen auch in diesem Punkt begrüße, ist es doch richtig, dass die Entscheidung über den Umgang mit dem Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung dem Deutschen Bundestag zusteht“. Über ein solches Dokument dürfe nicht „eigenmächtig verfügt werden“.
Vor einigen Jahren kam nämlich aus Künasts Fraktion gemeinsam mit der Linken noch der Antrag auf die Änderung der Geschäftsordnung und einer Öffnung der Ausschüsse
In ihrer Beschlussempfehlung lehnten damals die Koalitionsfraktionen das Ansinnen ab.
Die CDU/CSU erklärte zur Begründung, das Grundgesetz kenne den Begriff der ‚Transparenz‘ gar nicht. Im Übrigen, so die Unionsfraktionen, sei „der Schluss, dass die Öffentlichkeit einer Ausschusssitzung deren Qualität und die Ergebnisse automatisch verbessere, falsch. Richtig sei häufig das Gegenteil, da sich bei einer zu weitgehenden Öffentlichkeit und Transparenz von Ausschusssitzungen die tatsächliche Entscheidungsfindung in andere Bereiche verschiebe, die der Öffentlichkeit entzogen seien.“
Hier lohnt unbedingt eine Debatte. Die Schranken des Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie in Hinblick auf die Ausschüsse spielen eine wichtige Rolle:
„Fehlende Sitzungsöffentlichkeit ist“, so urteilte in erster Instanz das Verwaltungsgericht Berlin, damals im Fall Edathy, nämlich “nicht gleichbedeutend mit Geheimhaltung oder auch nur Vertraulichkeit.“
Der Ausschluss der Öffentlichkeit bedeute nur, „dass dem Publikum, einschließlich der Medien, der freie Zutritt verwehrt bleibt“.
Weitere Geheimschutzgründe konnten die Richter nicht ausmachen. Vielmehr sei fraglich, weshalb die einschlägigen Protokolle überhaupt „nur zur dienstlichen Verwendung“ gekennzeichnet seien. (Quelle: tagesspiegel.de/Transparenz-Bundestag). Diese Einschätzung wurde vom Oberverwaltungsgericht in letzter Instanz allerdings nicht mehr geteilt.
netzpolitik.org kommentierte in Hinsicht auf die aktuellen Entwicklungen deswegen „…der (…)Skandal ist doch, dass die Ausschuss-Sitzungen und damit die Protokolle alle auf Mehrheitsentscheidung der Großen Koalition als Grundeinstellung nicht-öffentlich sind. Dabei sollte unserer Meinung nach die Grundeinstellung genau anders herum sein, und bei jeder Nicht-Öffentlichkeit sollte individuell begründet werden, warum die Öffentlichkeit keine Kontrollmöglichkeit des Bundestages bekommt.“
In der Theorie (siehe Regelungen Ausschüsse und Öffentlichkeit: Bundestag: Rechtsgrundlagen)
wird die Nicht-Öffentlichkeit untermauert mit dem Argument, durch Ausschluss der Öffentlichkeit und das Rollenspiel der Parteilinien bestünde in den Ausschüssen die Möglichkeit „ohne die im Plenum rasch aufkommende Alles-oder-Nichts-Haltung die Vorlagen der Regierung und der Bundestagsmehrheit nach eigenen Maßstäben zu verändern. Auch die Mehrheit nutzt oft die Gelegenheit, ihre eigenen Vorlagen ohne allzu großes Aufsehen nachzubessern.“
Immer wieder wird das von Bürgerverbänden und Staatsrechtlern kritisiert. Hier wird im Namen der Realpolitik den Bürgern als Kontrollinstanz eine wichtige Urteilsgrundlage vorenthalten.
Gerade angesichts des Stimmenzuwachses von Populisten, die ein Klima des „wir da unten und die da oben“ vorantreiben, ist es geradezu fahrlässig, einen Anschein von „Kumpanei“ zu erwecken.
Markus Beckedahl von netzpolitik.org stellte zur Diskussion, dass der Spin, den der SPIEGEL aus der möglichen Falschaussage Maas machte, die Rede vom „Lügenminister“ (spiegel.de/Maas-wahre-Rolle-im-netzpolitik.org-Fall), wiederum von vielen rechten Kommentatoren genutzt werde, um gegen einen vermeintlichen „links-grün-versifften“ Staat anzuschreiben.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat es in einer Entscheidung zum Thema Presseauskunft (Beschluss vom 13.08.2004; Nr. 7 CE 04.1601) mit folgender Formulierung auf den Punkt gebracht:
„Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedingt ein Verhalten der Behörden, das in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse von Offenheit geprägt ist. Dem Bürger müssen diese Angelegenheiten dadurch durchsichtig gemacht werden, dass der Presse genaue und gründliche Berichterstattung ermöglicht wird.“
Interessanterweise erkannte die Wirkmacht einer öffentlichen Debatte auch Renate Künast in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, als sie konstatierte: „…dass wir jetzt einen Justizminister haben, der erst, nachdem es öffentlich war, und die ganze Öffentlichkeit darüber diskutiert – über diesen ungeheuerlichen Vorgang, hier einen Landesverrat anzunehmen –, erst dann wirklich interveniert.“ (Quelle:deutschlandfunk.de/Ermittlungen-gegen-netzpolitik)
Wenn also heute die Politik Probleme mit der Akzeptanz ihrer Entscheidungen durch die Betroffenen hat, liegt es oft nicht so sehr am Inhalt dieser Entscheidungen, sondern an den Mängeln in der Vermittlung und an der fehlenden Transparenz für die Öffentlichkeit.
Nicht nur im Verhältnis zur Presse müssen wir uns immer bewusst sein: Transparenz ist ein Wesenselement der Demokratie.
In einer Verordnung der Europäischen Union zum Informationsrecht der EU-Bürger vom Mai 2001 (VO Nr. 1049, Amtsblatt der europ. Gemeinschaften vom 31.05.2001, S. 1) liest sich das so:
„Transparenz ermöglicht eine Beteiligung der Bürger am Entscheidungsprozess und gewährleistet eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System. Transparenz trägt zur Stärkung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Grundrechte bei.“
Es bleibt also die Hoffnung, dass sich Ausschussvorsitzende Künast auch künftig noch ihrer eigenen Initiative von 2010 zur „Informationsfreiheit 2.0“ entsinnt.
Damals sagte sie bei einer Veranstaltung: „Informationen in Verwaltungen (…) müssen (…) zur Verfügung stehen.“
Warum solle etwa nicht der Bundeshaushalt oder andere Behördendaten gemäß dem „Open Data“-Ansatz von Anfang an für jeden zugänglich ins Netz gestellt werden? Es müsse „Schluss sein mit der Hinterzimmerpolitik“ siehe (heise.de/Grüne-wollen-Informationsfreiheit-2.0-entwickeln).
Ein Gastbeitrag von Katharina Meyer.