Chelsea E. Manning und Edward J. Snowden vereint, dass sie Licht ins Dunkel der Militär- und Sicherheitspolitik der USA gebracht haben. Sie taten dies, um damit einen dringend nötigen öffentlichen Diskurs zu ermöglichen und die Öffentlichkeit in den USA und weltweit über die Ausmaße und Auswüchse jener Politik zu informieren, die deren Repräsentanten nur allzu gern vertuschen und verschweigen. Beide vereint auch ihre Verfolgung durch US-Behörden und eine Auszeichnung, die sie von der Deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) – sowie im Falle Snowdens auch von Transparency International Deutschland – erhalten haben: der Whistleblowerpreis 2011 bzw. 2013. Das vorliegende Buch dokumentiert, in mittlerweile guter Tradition, jene Preisverleihungen und liefert interessante Hintergrundinformationen zu beiden Fällen.
Chelsea, ehemals Bradley, Manning hatte den Preis 2011 noch als „Anonymous“ erhalten für die, über Wikileaks unter dem Titel „Collateral Murder“ (http://collateralmurder.com) erfolgte, Veröffentlichung des Bordvideos eines Angriffs eines Apache Hubschraubers der US-Army am 12.07.2007 in Bagdad, bei dem 12 Zivilisten, darunter zwei Reuters-Journalisten, gezielt getötet wurden. Das Buch dokumentiert die Begründung der Jury und auch die Erklärungen, mit denen Manning den Preis im September 2013 offiziell annahm. Besonders verdienstvoll und in dieser Ausführlichkeit in deutscher Sprache bisher noch nicht vorhanden ist aber die Aufarbeitung des Verfahrens „US v. PFC Manning“ durch Annegret Falter. Unter Voranstellung des Zitats von Hannah Arendt „Keiner hat das Recht zu gehorchen“, beschreibt Falter die mehr als fragwürdigen Bedingungen, unter denen Manning zunächst, länger als irgendjemand zuvor, in militärischer Untersuchungshaft gehalten wurde, wie sie durch Medien und US-Militär bis hin zum Oberbefehlshaber Obama vorverurteilt und wie ihr schließlich ein unfairer und in wesentlichen Teilen nicht öffentlicher Prozess gemacht wurde.
Mannings Haftbedingungen, Einzelhaft mit unnötig hohen und entwürdigenden und entblößenden Sicherheitsvorkehrungen grenzten an Folter und wurden erst nach einer Protesterklärung von 300 namhaften US-Juristen und des UN-Sonderberichterstatters für Folter Juan Mendez etwas abgemildert. Selbst die Richterin musste später die Rechtswidrigkeit der Haftbedingungen einräumen, gewährte Manning dafür aber bei insgesamt 35 Jahren Haftstrafe eine lächerliche Strafmilderung von nur 122 Tagen. Auch während des Manning-Prozesses, den Falter vor allem mit Verweis auf die Berichte von Alexa O’Brian nachzeichnet, schreckte das US-Militär vor Einschüchterungsversuchen gegenüber den wenigen anwesenden Journalisten nicht zurück und schaffte es mittels Geheimhaltungsvorschriften viele Details der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Besonders verdienstvoll ist auch die Beschäftigung Falters mit den Details des „Espionage Act“. Sie macht klar, dass es der US-Regierung mittels dieses, eigentlich einmal zur Bekämpfung von Spionage im ersten Weltkrieg gedachten, Gesetzes heute möglich ist Menschen – und zwar nicht nur Insider und Whistleblower, sondern auch Journalisten und andere Außenstehende – schon dann für bis zu 10 Jahre hinter Gitter zu bringen, wenn diese Informationen mit Bezug zur nationalen Sicherheit veröffentlichen, bei denen Grund zu der Annahme besteht, dass die „Informationen benutzt werden könnten um den Vereinigten Staaten zu schaden oder ausländischen Nationen zu nützen“. Dies alles, ohne dass ein konkreter Schadenseintritt – den die USA bis heute weder im Fall Manning noch im Fall Snowden belegen konnten – nachgewiesen werden muss und auch ohne die Intention des Whistleblowers, also z.B. überwiegende öffentliche Interessen, zu berücksichtigten. All dies ist weder mit der Verfassung der USA noch mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats vereinbar. Dennoch hat die Obama Administration sich dieses Mittels bereits sieben Mal bedient, um gegen Whistleblower vorzugehen. Das Verfahren gegen Manning, der es ebenfalls vor allem um die Aufdeckung von Völkerrechtsverstößen und Lügen über Machtmissbrauch der US-Regierung ging, sieht Falter daher als Menetekel für politische Kritik und Demokratie in den USA und für das, was Snowden bevorstehen würde, wenn auch er jener Regierung in die Hände fallen würde.
Der Richter am Bundesverwaltungsgericht Dieter Deiseroth beschäftigt sich in seinem Beitrag zum Fall Snowden folgerichtig mit der Frage der juristischen Beurteilung der „Enthüllung illegaler Dienst- und Staatsgeheimnisse in Demokratien“. Er macht dabei zunächst klar, dass die von Snowden aufgedeckte Massenausspähung gegen deutsches Strafrecht und auch gegen internationales Recht verstößt. Somit habe Snowden zur Verteidigung anderer Personen gegen rechtswidrige Angriffe gehandelt und sollte sich laut Deiseroth eigentlich auf den – auch in den USA nicht unbekannten – Rechtfertigungsgrund der Nothilfe berufen können.
Deiseroth meint ferner, dass andere Abhilfemöglichkeiten für Snowden nicht ernstlich in Betracht gekommen wären. Damit mag er zwar objektiv Recht haben, übersieht aber, dass jedes Rechtssystem und jeder Staat über sich selbst wohl immer die Ansicht vertreten wird effektiv zu sein und ausreichende legale Abhilfemöglichkeiten anzubieten. Dies zeigt z.B. der – merkwürdiger Weise von Deiseroth als Beispiel einer guten Abwägungsentscheidung herangezogene – Fall des Deutschen Werner Pätsch, der, als er in den 60iger Jahren von Deutschland begünstigte US-Telefonüberwachung in Deutschland aufdeckte, zwar mit einem milden Urteil davon kam (4 Monate auf Bewährung), aber eben dennoch strafrechtlich verurteilt wurde. Dies just mit dem Argument, vor seinem Gang an die Medien nicht alle legalen Mittel – wie z.B. die Information des Parlaments – ausgeschöpft zu haben. Nicht viel anderes erging es kürzlich auch den Whistleblowerinnnen Esther Wyler und Magret Zöpfli in der Schweiz. Obwohl auch diese zur Aufdeckung von Missständen beim Sozialamt in Zürich mehrfach interne Wege beschritten hatten, fand das Strafgericht noch einen weiteren Weg, den sie auch noch hätten beschreiten müssen und verurteilte sie wegen Geheimnisverrats.
Statt der Heranziehung allgemeiner Rechtfertigungsgründe und einer für den Whistleblower letztlich im Ergebnis nicht vorhersehbaren, nachträglichen richterlichen Abwägung bräuchte es hier die Kodifikation einer klaren Regel: Kein Schutz von illegalen Geheimnissen! Und zusätzlich – und hierfür plädiert auch Deiseroth – eine Absicherung von Whistleblowerschutz durch internationales Recht.
Da hier nicht der Raum bleibt auf alle Beiträge des lesenswerten Buches im Einzelnen einzugehen, sei zum Abschluss nur noch kurz auf eine Stelle aus der Laudatio auf Snowden hingewiesen, in welcher Sonia Seymour Mikich dessen Fall mit weniger spektakulären und alltäglicheren Fällen auch in Deutschland verglich, in dem sie ausführte: „Haben je Machthaber freiwillig Machtmissbrauch eingeräumt? Hat je eine Firma einfach so offenbart, die Umwelt vergiftet oder Mitarbeiter am Lohn geprellt zu haben? Oder ein Pflegeheim die kriminelle Vernachlässigung alter, hilfloser Menschen? Darum müssen Whistleblower gesetzlich geschützt werden. Und ihre Partner in den Medien müssen sich darauf verlassen können, dass der Informanten- und Quellenschutz nicht ausgehöhlt wird.“
Deiseroth, Dieter; Falter, Annegret (Hrsg.):Whistleblower in der Sicherheitspolitik – Whistleblowers in Security Politics – Preisverleihung – Awards 2011/2013 – Chelsea E. Manning – Edward J. Snowden; ISBN: 978-3-8305-3333-7; 2014.