Alex Baur ist ein schweizer Journalist. Er war derjenige der als Erster über Missstände im Sozialamt in Zürich berichtet hatte. Seine Informantinnen waren die dortigen Mitarbeiterinnen Margrit Zopfi und Esther Wyler, die in der Folge wegen dieses Whistleblowings ihren Job verloren und wegen Amtsgeheimnisverrats auch strafrechtlich verurteilt wurden. Seine und deren Geschichte schildert er in diesem Buch.
Vieles von dem was Baur schreibt lässt ein unbehagliches Gefühl zurück. Während in Deutschland gerade über die Manipulation des Armutsberichts durch die Bundesregierung diskutiert wird, wird in seinem Buch zwar stellenweise bestritten, letztlich aber doch deutlich, dass Baur eben gerade keine journalistische Neutralität pflegt, sondern dass ihm etwas stinkt und er mit journalistischen Mitteln, fast schon in Form einer Kampagne dagegen anschrei(b)t. Baur stank, dass aus seiner Sicht die Stadt Zurüch in den 2000er Jahren unter Grüner Führung einen mindestens sehr lockeren Umgang mit Sozialhilfegeldern pflegte und dies von vielen, gerade auch vielen Ausländern, schamlos ausgenutzt wurde. Dass keine Kontrollen stattfanden und niemand zur Arbeit angehalten wurde. Aus deutscher Sicht und vor dem Hintergrund der Brutalität und Absurdität mit der bei uns Harz IV Menschen in unwürdige Lebensumstände und in die Annahme jeder auch noch so unverschämt gering bezahlten Arbeit zwingt, und angesichts von vielen rassistisch motivierten Übergriffen ja Morden bei uns, kommt dem Rezensenten dabei an der ein oder anderen Stelle schon einmal die Wut hoch. Aus dieser Sicht ist Baur mindestens politisch inkorrekt vielleicht sogar gefährlich.
Aber heißt dies, dass seine Sicht der Dinge nicht doch wert ist geäußert und anhand von Fakten überprüft zu werden? Und zwar nicht wie dies im Falle des Sozialamtes Zürich zunächst geschah durch eine angeblich unabhängige Kommission, die in Wirklichkeit aus lauter Amigos besteht. Es ist nicht legitim Rechtsbrüche durch Geheimhaltung zu vertuschen und dies muss auch dort gelten, wo deren Offenlegung die eigenen politischen Vorstellungen ins Wanken bringen könnte. Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf, haben wir bayerische Verhältnisse! Und letztlich dient die Identifikation von Sozialhilfemissbrauch auch all jenen, die diese Leistungen völlig zu Recht in Anspruch nehmen.
Die Mechanismen im behördlichen Umgang mit Whistleblowern aus der Verwaltung und ihren Hinweisen und dies zeigt Baur auch, sind in der Schweiz offensichtlich ganz ähnliche wie in Deutschland und anderswo. Bei anonymen Hinweisen erst recht über die Medien setzt sofort die Suche nach dem Maulwurf ein und die offizielle Stelle, die sich eigentlich mit den Missständen beschäftigen sollte, ruht nicht eher als dieser identifiziert ist. Whistleblower, die sich in die Hände und Mühlen der Justiz begeben werden in einem langsamen und langen Prozess zerrieben. Am Ende steht der Vorwurf nicht noch einen Versuch der internen Klärung unternommen, die Vorwürfe nicht noch genauer geprüft nicht bis in jede Einzelheit belegt zu haben oder schlicht einen winzigen Verfahrensfehler begangen zu haben. Dabei verfügt nur eine Seite über unbegrenzte, weil öffentliche, Mittel und kann den Instanzenzug bei Bedarf in voller Länge ausnutzen und z.B. auch Amigo-Gutachter heranziehen. Auch die Zeit spielt gegen die Whistleblower: je länger eine juristische Auseinandersetzung dauert, desto komplexer und damit medial uninteressanter wird sie, desto weniger sind die damals zuständigen noch in Amt und Würden (hier werden allerdings meist nur Köpfe und nicht systematische Handlungsweisen ausgetauscht), desto mehr Lebenszeit und Karrierechancen gehen dem Whistleblower verloren.
Während eines juristischen Verfahrens ist die Standardantwort mit der sich die Öffentlichkeit meist zufrieden gibt, dass man zum laufenden Verfahren nicht Stellung nimmt und an dessen Ende ist vieles verjährt oder ein alter Hut, den kein Journalist mehr anfasst. Um so mehr sind Whistleblower die sich nicht allein auf die Mühlen der Justiz verlassen wollen auf Journalisten wie Baur angewiesen, die eine Geschichte nicht nur einmal aufbringen und dann wieder vergessen, sondern hartnäckig am Ball bleiben, sich für Details interessieren, die Öffentlichkeit mit immer wieder neuen Aspekten interessiert halten und vor allem auch das Schicksal ihrer Informanten nicht vergessen und den skandalösen Umgang mit Whistleblowern ins Licht der Öffentlichkeit bringen. Wyler und Zopfi haben in der Schweiz vor den Gerichten verloren, aber dank Baur und einigen Kollegen waren in der schweizer Öffentlichkeit, sie die Gewinnerinnen. Dies zeigt nicht zuletzt die Vergabe des Publikumspreises Prix Courage.
Ein bekannter Satz von Hanns-Joachim Friedrich lautet: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“. Leider verstehen viele JournalistInnen diese Satz als Aufforderung, die soeben geschilderten Anforderungen auf deren Erfüllung Whistleblower im Kampf gegen eine wirtschaftliche oder verwaltungsmäßige Übermacht angewiesen sind, nicht zu erfüllen, als Aufforderung Abstand zu halten und neutral zu bleiben. Wie Bauer belegt und die Aussagen von Anne Will auf der Webseite des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises bestätigen, ist aber auch ein anderes Verständnis von Journalismus möglich. Sie schreit dort:
„Ich bin ihm – anders als viele von Ihnen – persönlich leider nie begegnet. Ich kann also nur mutmaßen, bin aber davon überzeugt, dass er mit ’sich gemein‘ machen meint: Positionen ungefragt und unkritisch zu übernehmen, sie sich zu eigen zu machen, gar manipulativ zu vertreten. Das darf ein guter Journalist nicht. Was er aus meiner Sicht darf ist, sich einzusetzen, zum Beispiel auch für eine gute Sache. Denn darin zeigt sich Haltung!“
Wir vom Whistleblower-Netzwerk wünschen uns mehr JournalistInnen mit Haltung! Vielleicht sogar mit soviel Haltung bei uns Mitglied zu werden und mit uns gemeinsam Whistleblower zu unterstützen.
Baur, Alex: Störfall im Sozialamt — Die Geschichte von Margrit Zopfi und Esther Wyler; ISBN: 978-3-907668-88-7; 2011.