Als Zuhörer beim Untersuchungsausschuss Steuerfahnderaffäre

Nachfolgend veröffentlichen wir einen ganz persönlichen Bericht eines Whistleblowers der am letzten Montag als Teil der Öffentlichkeit bei der Sitzung des hessischen Untersuchungsausschusses zur Steuerfahnderaffäre anwesend war:

Am 29.08.2011 habe ich zum ersten Mal an einem Untersuchungsausschuss als Zuhörer teilgenommen. Es ist der Untersuchungsausschuss zur Steuerfahnder-Affäre, der im Januar 2010 auf Betreiben der Oppositionsparteien eingesetzt worden war und im Hessischen Landtag öffentlich tagt.
Etwa 30 bis 40 weitere interessierte Bürger bildeten mit mir die „Öffentlichkeit“. Es war die Befragung von vier ehemaligen zwangspensionierten Steuerfahndern terminiert.
Der erste Zeuge, der ehemalige Steuerfahnder Marco Wehner, betrat unter regem Interesse von 3 TV-Teams pünktlich um 10:30 Uhr den Zeugenstand, wurde zunächst vom Ausschussvorsitzenden Leif Blum (F.D.P.) begrüßt, mit dem Procedere und der Ela-Technik vertraut gemacht und auf die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Beantwortung aller ihm gestellter Fragen belehrt. Gleiches wiederholte sich bei den später einzeln vernommenen Zeugen Herr und Frau Feser. Der vierte geladene Zeuge wurde vor Eintritt der Zeugin Feser in den Zeugenstand gegen 20:20 Uhr für den 12.09.2011 umgeladen. Die ersten beiden Zeugen wurden jeweils ca. fünf Stunden befragt. Frau Fesers Befragung endete nach fast vier Stunden Dauer gegen 0:10 Uhr.
Der Ausschussvorsitzende Blum begann jede Zeugenbefragung mit einer weit ausholenden, ca. eine Stunde dauernden Befragung, an die sich je zwei Fragerunden anschlossen, in denen die parteigebundenen Mitglieder des Ausschusses – alles Abgeordnete des Landtages von CDU, SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – je 15 Minuten/Partei das Fragerecht hatten. Im Anschluss an die beiden Fragerunden bestand die Möglichkeit, weitere Fragen zu stellen.
Bei der Befragung ist mir aufgefallen, dass die Fragen der Vertreter der Regierungsparteien CDU und F.D.P. darauf abzielten, die Beweggründe der Zeugen für ihre Handlungsweisen (Widerstand gg. die Amtsverfügung vom 31.08.2001, Unterschrift auf Briefentwurf an Koch 2003 sowie Zwangsversetzungen) ebenso negativ auszulegen, wie Versuche, auf die Vorgehensweise der Vorgesetzten deeskalierend einzuwirken. Selbst die rechtliche Möglichkeit, für zwei Jahre in Elternzeit zu gehen, wurde dem Zeugen Wehner nachteilig ausgelegt. Ganz besonders auch deshalb, weil er in dieser Zeit den Rat des Betriebsarztes befolgt hatte, sich mit etwas Berufsfremdem zu beschäftigen und er dazu eine Ausbildung als Fahrlehrer (auf eigene Kosten) absolviert hatte. Nach seiner, mir durchaus glaubhaft erscheinender Angabe, wollte er damit den Kopf freibekommen von dem im Finanzamt erduldeten Mobbing, das bereits eine psychosamtische Erkrankung ausgelöst hatte.
Von Herrn Beuth, Obmann der CDU, werden durch Mobbing ausgelöste Erkrankungen (Arbeitsunfähigschreibung durch den Betriebsarzt) als „Krankfeiern“ bezeichnet. Dieses „Krankfeiern“ sei ebenso wie der Erwerb der Fahrlehrerlizenz – wie den Fragen zu entnehmen war – eine planmäßige Vorbereitung auf eine dem Zeugen Wehner unterstellte angestrebte Frühpensionierung.
Letzteres wurde später auch den Zeugen Feser unterstellt.
In den Antworten der Zeugen wurde sehr deutlich, dass sowohl beim Zeugen Wehner als auch den anschliessend einzeln befragten Zeugen Herr und Frau Feser der Dienstherr wiederholt und dauerhaft seine Fürsorgepflicht verletzt hatte:
Mehrfach wollten sowohl CDU- als auch F.D.P.-Abgeordnete wissen, weshalb keine Rechtsmittel gegen die Holzmann-Gutachten eingelegt worden seien. Übereinstimmend erwiderten die Zeugen, dass dies auf Anraten ihres Anwaltes nicht geschehen sei, weil aufgrund eines Präzedens-Urteiles in Niedersachsen keine Aussicht auf Erfolg bestand. Nach Auffassung von Herrn Beuth (Obmann der CDU) hätten die Zeugen – insbesondere der rechtsschutzversicherte Herr Feser – trotzdem Klage einreichen sollen.
Es war ja wohl mehr als lobenswertes und professionelles Handeln des Anwalts, von einer erfolglosen Klage abzuraten, als damit trotz fehlender Aussicht auf Erfolg ein Honorar zu schneidern.
Bei der Befragung äußerte Herr Beuth, dass Ursache des Konflikts die Selbstüberschätzung der Zeugen sei. Dies hat er in seiner Pressemitteilung wiederholt.
Fragen der Abgeordneten von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DER LINKEN erschienen mir deutlich sachbezogener und von dem Bemühen geprägt zu sein, die Hintergründe des Mobbings und der anschliessenden Zwangspensionierungen der drei befragten Zeugen aufzuhellen.
Bis heute hat der Dienstherr als Auftraggeber der psychatrischen Begutachtungen der vier Steuerfahnder diese „Gutachten“ weder zurückgezogen noch für ungültig erklärt, obwohl der Gutachter Dr. Thomas Holzmann wg. Falschbegutachtung unter Nichtbeachtung ärztlicher Standards im Falle der Begutachtung der Steuerfahnder rechtskräftig zu 12.000,00 € Geldbusse verurteilt worden ist.
Der Dienstherr hat sich bis heute auch nicht für sein Verhalten und die daraus für die Betroffenen resultierenden existenzbedrohenden Folgen entschuldigt.
Wenn im Bericht des Wiesbadener Kurier (WK) in der Ausgabe vom 30.08.2011 über den Verlauf des Untersuchungsausschusses vom Vortag ausgeführt wird: „Es geht nicht mehr um die Frage, wer politisch verantwortlich ist, was den Ex-Fahndern passierte. Finanzminister Karlheinz Weimar ist nicht mehr im Amt, Ministerpräsident Roland Koch ebenso.“ so wird einmal mehr deutlich, was der WK für ein Blatt ist. Natürlich geht es immer noch darum, wer politisch verantwortlich für die Steuerfahnderaffäre ist, daran ändert auch das Ausscheiden der beiden Politiker aus dem Amt nichts. Was aber Herr Koch unter „brutalstmöglicher Aufklärung“ versteht, wissen die (hessischen) Bürger spätestens seit der hessischen CDU-Spendenaffäre, die zu Beginn seiner Amtszeit öffentlich bekannt geworden war.
Dass es bei der hessischen Finanzverwaltung während der Regierungszeit Koch im Argen lag und Parteigänger bevorzugte Behandlung und / oder Nachsicht erfahren hatten, zeigt auch der (Steuer-)Fall Wolski: Direkt neben dem Steuerfahnder-Artikel wird im WK vom 30.08.2011 über das BGH-Urteil berichtet, mit dem die von Wolski eingelegte Revision gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt weitestgehend zurückgewiesen wurde. Der BGH bestätigte das Strafmass, sah aber nur 32 statt 52 Fälle der Steuerhinterziehung als erwiesen an. Wolski muß wg. Steuerhinterziehung in Millionenhöhe seine Haftstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten antreten. Er soll vom Finanzamt Offenbach „betreut“ worden sein, das mehrere Jahre übersehen hatte, dass er und seine Gattin keine Einkommenssteuererklärungen abgegeben hatte. Nach dem Urteil des LG Darmstadt in 2010, in dem u. a. festgestellt worden war, das auch seine Ehefrau von der Steuerhinterziehung profitiert hatte, war Frau Wolski am Tag der Urteilsverkündung von ihrem Amt als Richterin am hessische Staatsgerichtshof (!!) zurückgetreten.
Statt der Steuerfahndung im allgemeinen und den betroffenen Steuerfahndern im besonderen den Rücken zu stärken, wurde seitens Koch und Weimar wiederholt beklagt, das Land Hessen müsse die Personal- und Sachkosten dafür tragen, während die Gewinne aus Nach- und Strafzahlungen in die Bundeskasse flössen. Die Herren scheinen nie auf die Idee gekommen zu sein, gemeinsam mit andern Bundesländern eine Änderung dieses Zustandes herbeizuführen. Warum auch – schliesslich hätten dann einige der die CDU bedenkenden Großspender aus Bank- und Versicherungswirtschaft angesichts weiter geschlossener Steuerschlupflöcher verprellt werden können.
Die Befragung zweier weiterer Zeugen, Rudolf Schmenger und Frank Werheim, findet am 12.09.2011 in Sitzungssaal 501 A des Hessischen Landtags statt. Der Zugang befindet sich an der Front des Schlosses gegenüber dem Hauptportal der Marktkirche. Ich hoffe, auf eine mindestens ebenso zahlreiche Öffentlichkeit wie bei der Befragung am 29.08.2011.
Die Gewaltenteilung unserer Demokratie wird durch Einflussnahme von Politikern auf Straf- und Steuerverfahren unterlaufen.
Ein weiteres hessisches Beispiel dazu ist der „Holzschutzmittel-Prozess“ gegen die seinerzeit in Frankfurt ansässige Fa. Desowag Bayer.
Der 37 Jahre junge Staatsanwalt Schöndorf hatte 1984 begonnen, Anzeigen von Betroffenen nachzugehen: heimwerkenden Familien, die ihr Mobiliar oder ihren Wohnungsausbau mit dem Holzschutzmittel „Xyladecor“ oder „Xylamon“ gestrichen hatten. Oder Ärzten und OP-Schwestern, die es mit PCP-haltigen Narkosegasen zu tun hatten. Insgesamt 2.300 Anzeigen von Kranken und Langzeitgeschädigten war Schöndorf nachgegangen, hatte sich in in die Chlorchemie eingearbeitet und die neuesten Forschungsergebnisse weltweit studiert, Statistiken zusammengestellt. Nach 4 Jahren ist die 645-seitige Anklageschrift fertig: u.a. gegen die Verantwortlichen der Tochterfirma des Chemiegiganten Bayer. Kein einfaches Unterfangen.
Zunächst gewährt ihm sein direkt vorgesetzter Abteilungsleiter Rückendeckung. Das ist zu Zeiten der rot-grünen Koalition in Hessen. 1987 dann der politische Wechsel: Jetzt geben CDU und FDP den Ton an. Und die Hierarchie, d.h. die Dienstwege bei Staatsanwälten sind kurz: Staatsanwalt > Oberstaatsanwalt/Abteilungsleiter > Behördenleiter > Generalstaatsanwalt > Justizminister. „b.R.“ lauteten die Anmerkungen auf den internen Berichten, die Schöndorf anfertigen muss: „bitte Rückspache“ – so jetzt der Generalstaatsanwalt.
Wie es weiter ging, ist unter http://anstageslicht.de/schoendorf zu lesen.

Mehr zum Thema findet sich z.B. aktuell auch bei Frankfurter Rundschau und Hessischem Rundfunk. Die Hintergründe der Geschichte und Originaldokumente finden sich bei ansTageslicht.de

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