Die ökonomische Promotion begründet auf institutionenökonomischer Basis die Chancen, die mit der Einrichtung interner Whistleblower-Systeme verbunden sind und stellt dar, wie diese ausgestaltet werden sollten, um für Unternehmen und Mitarbeiter hinreichende Anreize zur Nutzung zu bieten.
Insoweit widmet sich der Autor einem durchaus verdienstvollen Unterfangen. Leider stützt er sich dabei letztlich auf eine Trennung zwischen „gutem“ internen und „bösem“ externen Whistleblowing ohne die Berechtigung dieser These hinreichend zu hinterfragen. So findet sich z.B. folgende Passage (S. 78):
„Unternehmen betrachten eine solche Förderung des externen Whistleblowings verständlicherweise kritisch. Abgesehen davon, dass Whistleblowing von Management und Kollegen als Loyalitätsbruch wahrgenommen wird, besitzt externes Whistleblowing für Unternehmen ein hohes Schadenspotential. Die Forcierung externen Whistleblowings hätte die Wirkung, dass Sachverhalte über Fehlverhalten von Unternehmen mit „möglichst viel bzw. nachhaltiger Öffentlichkeitswirkung“ publik gemacht würden, entsprechend wäre „die Breitenwirkung für die Betroffenen meist jeder Kontrolle entzogen.“ Kritischer ist jedoch, dass von der Wirkung einer solchen Regulierung möglichweise auch Unternehmen betroffen wären, die zu Unrecht eines Fehlverhaltens bezichtigt würden. Bereits aufgrund von vermeintlichem Fehlverhalten, das von der Presse aufgegriffen würde, wären sie der Gefahr öffentlicher Kritik mit entsprechenden wirtschaftlichen Auswirkungen ausgesetzt. Des Weiteren könnte durch die Forcierung von externem Whistleblowing zur Überwachung in den Unternehmen ein Klima der Angst vor Denunziation mit all den damit verbundenen Nachteilen geschaffen werden.“
Das Hauptproblem dieser Argumentation liegt in der unzulässigen Gleichsetzung von externem mit öffentlichkeitswirksamem (Medien-)Whistleblowing. Es gibt in unserem Lande eine Vielzahl von Behörden die bereits heute Kontrollaufgaben hinsichtlich der Tätigkeit von Unternehmen wahrnehmen und es ist keineswegs so, dass deren Ergebnisse, erst recht nicht Fällen in denen ein unbegründeter Verdacht ausgeräumt wurde, ständig in den Medien zum Nachteil der Unternehmen breitgetreten werden. Demnach ist auch nicht ersichtlich, wieso die Einrichtung von behördlichen Ansprechstellen für Whistleblower (also eine denkbare Form externen Whistleblowings) automatisch negative Öffentlichkeitswirkungen für die Unternehmen nach sich ziehen würde. Selbst das Informationsfreiheitsgesetz räumt den berechtigten Unternehmensinteressen auf Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ja gerade Vorrang vor dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein. Wo die Behörden dennoch tatsächlich einmal unzulässig Informationen nach draußen sickern lassen, wäre ja auch noch deren Haftung denkbar.
Andererseits ist Briegel aber zu gute zu halten, dass er mit seiner Argumentation zugleich ein (Vor-)Urteil aufgreift, welches in Unternehmenskreisen weit verbreitet ist. In gewisser Weise versucht er also, die Unternehmen dort abzuholen und zumindest von der Vorteilhaftigkeit und Notwendigkeit interner
Whistleblower-Systeme zu überzeugen.
Aus Sicht der Mitarbeiter stellt sich aber dennoch die Frage, ob sie nicht jene Bedenken die der Autor hier den Unternehmen im Verhältnis zu Externen zubilligt genauso auch im Verhältnis zum eigenen Arbeitgeber haben sollten? Vor allem dann, wenn sie jenem mangels der Eskalationsmöglichkeit externes Whistleblowing letztlich bedingungslos ausgeliefert sind?
Herr Briegel unterlässt es auch, die eigentliche Kernfrage zu stellen, deren Beantwortung auch durch die organisierte Unternehmerschaft noch aussteht: Warum haben rechtmäßig handelnde Unternehmen nicht ein hohes Interesse daran externes (aber nicht öffentliches) Whistleblowing als effektives Kontrollinstrument einzuführen um so rechtswidrig handelnden Wettbewerbern unlautere Vorteile entziehen (lassen) zu können?
Auch an anderen Stellen ist die Arbeit weniger überzeugend als dies möglich gewesen wäre. So werden z.B. die in der Praxis gerade im Zuge der Finanzkrise aufgedeckten Schwächen der US-Whistleblowerregelungen im Sarbanes Oxley Act und in den U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations viel zu wenig thematisiert und insbesondere nicht den Mechanismen des False Claims Act gegenübergestellt, welcher sich in den USA als ungleich wirksamer erwiesen hat, gerade weil er auf externes Whistelblowing (an Behörden und Gerichte) setzt und zugleich ökonomische Honorierungen zu gunsten der Allgemeinheit und der Whistleblower nutzt.
Briegel schlägt vor, dass Unternehmen eine Unternehmenskultur fördern, die auf kritische Loyalität der Mitarbeiter setzt und in der Missstände frühzeitig bemerkt und korrigiert werden. Dazu seien klare Orientierungspunkte und konsistentes Handlen erforderlich und es komme auch darauf an, dass dieses für alle Akteure beobachtbar sei. Dem ist zuzustimmen. Dies gilt auch dort, wo die Vorbildfunktion der Führungskräfte und das Setzen konkreter Anreize für kritisch-loyales Verhalten vom Autor zu Recht eingefordert werden.
Die im Hinblick auf das Kriterium der Beobachtbarkeit nötigen Folgerungen für die Ausgestaltung der Whistleblower-Systeme werden jedoch nur zum Teil gezogen. Zwar wird die Notwendigkeit betont, bei den Mitarbeitern durch konsistentes Handeln Vertrauen in das Funktionieren des Systems zu erzeugen. Es wird erkannt, dass dabei die Behebung der Missstände von entscheidender Bedeutung ist und sogar der Vorschlag „können in einem viertel- oder halbjährlichen Bericht der Compliance-Abteilung der aktuelle Stand und die Ergebnisse von Untersuchungen in anonymisierter Form veröffentlicht werden“ wird geäußert (S.180). „Im Hinblick auf die Vermeidung von Gerüchten und Spekulationen“ wird dies dann aber recht pauschal abgeleht und letztlich nur noch eine individuelle Benachrichtigung von (nicht anonymen) Whistleblowern vorgeschlagen.
Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Um wirklich die Beobachtbarkeit und damit die Glaubwürdigkeit der geforderten neuen Unternehmenskultur zu verbessern, sollten sich Unternehmen vor mehr Transparenz gegenüber Mitarbeitern, Share- und Stakeholder nicht länger scheuen. Nur so kann es gelingen, bloßes window-dressing von wirklich gelebter kritischer Unternhmenskultur unterscheidbar zu machen. Regelmäßige nachvollziehbare Berichte über die Anwendung, Defizite und Erfolge des Whistleblowing-Systems, Berichte über korrigierte Missstände, die Sanktionierung von Tätern und die – wie auch immer geartete – sichtbare Belohnung bzw. Belobigung von Whistleblowern sind dafür unabdingbar.
In der Promotion geraten diese Aspekte zu gunsten der Absicherung vor Repressalien durch Angebote zum anonymen Whistleblowing in den Hintergrund. Nicht thematisiert wird dabei auch das Problem, dass es viele Situationen gibt, in denen ein anonymes Whistleblowing gar nicht möglich ist. So z.B. wenn der Whistleblower vorher bereits Kritik angedeutet hat oder wenn der Kreis der potentiellen Informanten – wie so oft – sehr klein ist. Außerdem bleibt unklar, wie bei vor allem anonymem Whistleblowing die angeregte positive Berücksichtigung bei Beförderungsentscheidungen und Boni-Vergabe erfolgen soll.
Insgesamt gibt das Buch dennoch einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Diskussion um die Einführung innerbetrieblicher Whistleblowing-Systeme und auch über die dazu verfügbare Literatur. Es sollte den einen oder anderen Verantwortlichen anregen, über die Einführung derartiger Systeme im eigenen Unternehmen neu nachzudenken und liefert auch Anstöße für weitere wirtschaftswissenschaftliche, z.B. empirische Forschungen zum Thema Whistleblowing.
Briegel, Torsten: Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme; ISBN: 978-3-8349-1606-8; 2009. [b]