Gestern begann vor dem ICTY (dem UNO-Sondergericht zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien in Den Haag) ein Prozess, einmal nicht gegen einen Kriegsverbrecher, was seine eigentliche Aufgabe wäre, sondern gegen eine ehemalige Mitarbeiterin: Florence Hartmann.
Als französische Journalistin war sie 11 Jahre für Le Monde tätig und hatte im Rahmen dieser Tätigkeit bereits 1993 als erste Journalistin auf ein Massengrab von 263 Menschen in Kroatien hingewiesen die 1991 von Serben aus einem Krankenhaus verschleppt und getötet wurden, wozu sie 2006 auch als Zeugin vor dem ICTY gehört wurde. Von 2000 bis 2006 war Hartmann Pressesprecherin der ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte, um danach wieder als Journalistin zu arbeiten.
2007 veröffentlichte Florence Hartmann ihr Buch „Paix et châtiment, Les guerres secrètes de la politique et de la justice internationales“ („Friede und Bestrafung, Die geheimen Kriege der internationalen Politik und Justiz“) und außerdem im Januar 2008 einen Aufsatz „Vital genocide documents concealed“ („Wichtige Dokumente zum Völkermord unter Verschluss“). Im Herbst 2008 wurde sie dann vom ICTY angeklagt, mit einigen Seiten des Buches und mit der Veröffentlichung des Aufsatzes Geheimnisverrat begangen zu haben. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr jetzt bis zu sieben Jahren Haft und eine Geldstrafe von bis zu 100.000 Euro.
Hintergrund ist, dass sich die Serbische Regierung im Rahmen des Milosevic Prozesses bei der Herausgabe bestimmter Dokumente, die die Verantwortlichkeit von Milosevic und Serbien für das Handeln der Republika Srpska beweisen sollen, vom ICTY die Zusicherung der Geheimhaltung hatte gewähren lassen. Um die Rechtmäßigkeit der Zusicherung gab es danach einen jurisitschen Streit in dessen Verlauf es Serbien im Ergebnis gelang eine Veröffentlichung der Dokumente zu verhindern, obwohl die Zusicherung der Geheimhaltung rechtswidrig erteilt worden war. Pikant daran ist vor allem, dass gleichzeitig vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), ebenfalls in Den Haag, ein Prozess von Bosnien gegen Serbien lief, in dem Serbien seine Verurteilung wegen Völkermordes wohl auch deswegen verhindern konnte, weil dem IGH die beim ICTY vorliegenden Dokumente eben nicht vorlagen.
Zu ihrer Verteidigung beruft sich Florence Hartmann jetzt darauf, dass zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichungen jene Informationen bereits öffentlich gewesen seien. Vor allem aber beruft sie sich auf Punkt 7 der UN-Sicherheitsrats Resolution 827 vom 25.5.1993, mit welcher der ICTY überhaupt erst errichtet wurde. Darin heißt es: „that the work of the International Tribunal shall be carried out without prejudice to the right of the victims to seek, through appropriate means, compensation for damages incurred as a result of violations of international humanitarian law;“ („dass die Arbeit des Internationalen Strafgerichts ausgeübt werden soll, ohne Einschränkung der Rechte der Opfer auf geeignete Art und Weise Ersatz jener Schäden zu erlangen, die als Ergebnis von Verletzungen des humanitären internationalen Rechts entstanden sind“). Außerdem beruft sie sich auf die Meinungs- und Pressefreiheit sowie auf das Recht der Opfer und der Weltgemeinschaft die wahren Hintergründe des Völkermordes im ehemaligen Jugoslawien zu erfahren.
All jene die sich dieser überzeugenden Argumentation anschließen wollen und mit dem Autor dieser Zeilen der Meinung sind, dass der ICTY sich lieber auf die Verfolgung von Kriegsverbrechern, als auf die Verfolgung von Whistleblowern und Aufklärern konzentrieren sollte, haben u.a. die Möglichkeit sich einer von Unterstützern von Florence Hartmann initiierten Petition an den Gerichtspräsidenten anzuschließen. Auch die Deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker und die Organisation Reporter ohne Grenzen haben bereits ihre Unterstützung für Florence Hartmann bekundet.