Heute Abend wird Frontal21 (ZDF 21.00 Uhr) anhand verschiedener Fälle darüber berichten, wie es LKW-Fahrern in Deutschland 2009 ergeht, die versuchen gesetzliche Vorschriften die ihrem und unser aller Schutz dienen, einzuhalten. Dabei wird auch davon die Rede sein, auf wessen Seite sich die Justiz in jenen Fällen stellt.
Bereits vor einem Jahr hatte Guido Strack, der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerk e.V., in seiner Stellungnahme zur – mittlerweile gescheiterten – Einführung von § 612a n.F. BGB, auf einen ähnlichen Fall aus der Rechtsprechung hingewiesen. In Beantwortung von Frage 4 des Bundestages war dort zu lesen:
4. Gewährleistet die Formulierung in § 612 a – E „Ist ein Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung,…“, dass die Weitergabe von nicht wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Informationen eines Hinweisgebers nicht als Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung anerkannt wird?
Nein, diese Formulierung gibt viel zu großen Raum für nachträgliche Interpretationen und lässt so die notwendige Rechtssicherheit vermissen. Die Formulierung verstärkt die Gefahr dass es dann weiterhin zu Urteilen wie zuletzt jenem des Landesarbeitsgerichts Mainz vom 24.10.2007 (Az: 7 Sa 451/07 s.o. I.4) kommt, die dem Anzeigenerstatter vorwerfen, es hätten nicht genügend Anhaltspunkte für eine Strafanzeige bestanden, und dies obwohl das Arbeitsgericht die Zulässigkeit der Anzeige erstinstanzlich noch bejaht hatte.
Außerdem bleibt die Formulierung des Vorschlages auch deutlich hinter derjenigen des Bundesverfassungsgerichts zurück. Das BVerfG (Urteil vom 2.7.2001, Az: 1 BvR 2049/00) benutzt die Formulierung: „nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben“.
Dies zeigt auch der Blick auf die Anwendungspraxis einer Rechtsnorm die schon heute bei „konkreten Anhaltspunkten“ eine Behördenanzeige zulässt: § 17 Absatz 2 ArbSchG. Das LAG Mainz (Az: 9 Sa 857/02 v. 30.10.2002) hat hierzu Ausführungen gemacht, die klar machen, dass dem Whistleblower mit dieser Formulierungen Anforderungen auferlegt würden, die weit über den Ausschluss von „Behauptungen ins Blaue hinein“ hinausgehen und auch dazu führen, statt auf seine subjektive Sicht auf so genannte „objektive“ Kriterien und eine „nachvollziehbare Gefahr“ abzustellen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass ein Gericht dem Whistleblower im nachhinein Beweislasten auferlegt die völlig unrealistisch sind und jeden der darum weiß schon im vorhinein davon abhalten müssen auf Risiken bzw. mögliche Pflichtverletzungen hinzuweisen.
In besagten Urteil kann man hierzu lesen: „Hinzukommen muss allerdings, dass diese Auffassung auf konkreten Anhaltspunkten beruht, die letztlich nur objektiver Art sein können. … Darüber hinaus vermochte der Kläger auch keinen sachlichen Grund bzw. einen konkreten Anhaltspunkt im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG substantiiert darzulegen, welcher seine Anzeigen rechtfertigen könnte. Soweit er in diesem Zusammenhang während des Berufungsverfahrens auf seinen erstinstanzlichen Schriftsatz vom 27.03.2002 verwiesen hat, führt dies nicht weiter. Die dort enthaltene Behauptung, verschiedene Fahrer der Beklagten würden über 300 Stunden im Monat regelmäßig fahren, ist pauschal und — nachdem die Beklagte dies bestritten hatte — einem Beweis nicht zugänglich, da dies zu einer unzulässigen Ausforschung der Zeugen führen würde. Soweit der Kläger in dem erstinstanzlichen Schriftsatz darüber hinaus Lenkzeitverletzungen durch seine Arbeitskollegen G, H, S und G dargestellt hat, lässt sich hiermit der in den schriftlichen Anzeigen gegenüber dem Bergamt enthaltene Vorwurf, Fahrer der Beklagten würden weit über 300 Stunden im Monat fahren, nicht begründen. Denn der Kläger hat lediglich für jeden der vier Fahrer die Tageslenkzeit von einem einzigen Tag konkret benannt. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang darüber hinaus ausführt, es sei ihm vollkommen unmöglich, im Einzelnen darzulegen, welcher Fahrer wann exakt welche Tour gefahren habe, so hätte er diese Überlegung vor Erstattung seiner Anzeigen anstellen und sich entsprechend verhalten müssen. …Der Kläger vermag sich angesichts dieser Ausgangssituation auch nicht darauf zu berufen, dass er in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe. Denn er vermochte weder eine Gefährdung seiner eigenen Person noch der Allgemeinheit durch die in den Anzeigen genannten Lenkzeiten darzulegen. Es bestand mithin keine konkret nachvollziehbare Gefahr, welche der Kläger mit seinen Anzeigen hätte abwehren können.“
Will der Gesetzgeber hier in der Tat verlangen, dass der Fahrer sämtliche Fahrten seiner Kollegen beweiskräftig festhält und ansonsten zu schweigen hat? Wie sollte er dies tun ohne selbst Gesetze zu brechen? Hat die Gesellschaft nicht vielleicht doch ein Interesse daran auch etwas weniger konkreten Hinweisen nachzugehen oder nimmt sie lieber völlig übermüdete Fahrer und die daraus resultierenden Unfälle und Tote als „Kollateralschaden der dem Arbeitgeber geschuldeten Rücksichtnahmepflicht“ in Kauf?
Geändert hat sich bisher offensichtllich immer noch nichts!