In der aktuellen Folge berichtet das WDR Wissenschaftsmagazin Quarks & Co über ein Experiment. Anhand eines gestellten Unfalls mit Personenschaden wurde untersucht wieviele Autofahrer anhalten und helfen. Insgesamt hielten mehr als die Hälfte der Fahrzeuge an. Außerdem konnte ein psychologisches Phänomen beobachtet werden welches – neben anderen Faktoren – auch mithelfen könnte zu verstehen, warum Zivilcourage und Whistleblowing zu selten vorkommen:
Viele Helfer, wenig Hilfe
Gemeinsam mit Psychologen der Bundesanstalt für Straßenwesen und des Instituts für Notfallmedizin in München suchen wir nach Erklärungen für das Verhalten der Nichthelfer. Ein seltsamer Effekt sticht sofort ins Auge: Je mehr Menschen gleichzeitig am Unfallort sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand hilft. Das klingt paradox, möglicherweise handelt es sich bei dem Phänomen aber um eine blitzschnelle und unbewusste Kalkulation in den Köpfen, wie die Experten sagen: Der erste Fahrer, der an der Unfallstelle vorbeifährt, hat nur wenige Sekunden Zeit, um die Situation einzuschätzen. Während er noch überlegt, geht sein Blick fast automatisch in den Rückspiegel. Sieht er hinter sich einen Wagen, gibt er die Verantwortung fast automatisch an dessen Fahrer ab. Aus Sicht des ersten hat der Hintermann ja länger Zeit, um zu reagieren. Also soll der doch anhalten und helfen!Kolonne der Drückeberger
Tatsächlich hat der zweite Fahrer auch nicht mehr Zeit, um die Situation zu analysieren. Das bedeutet, dass auch er wahrscheinlich einen Blick in den Rückspiegel wirft – und genau dasselbe tut wie sein Vorgänger: Er schiebt die Verantwortung auf den nachfolgenden Fahrer ab. Und so geht es von Auto zu Auto immer weiter. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von Verantwortungsdiffusion: Je mehr Menschen am Unfallort sind, umso schneller und einfacher kann sich der Einzelne aus der Pflicht entlassen. Schließlich reicht es bei keinem der potenziellen Helfer mehr für ein konkretes Einschreiten aus.Der Herdentrieb siegt
Für die weiter hinten Fahrenden kommt ein Faktor dazu, den die Psychologen „pluralistische Ignoranz“ nennen: Die Nachfolgenden sehen, dass die Fahrer vor ihnen an der Unfallstelle vorbei fahren. Daraus ziehen sie den falschen Schluss, dass die Situation offenbar nicht so schlimm ist. Die Nichthelfer sind ein passives Vorbild. Und auch hier gilt: Je mehr solcher Vorbilder es gleichzeitig gibt – je mehr passive Zeugen an der Unfallstelle sind – umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand diese Haltung durchbricht.