Die juristische Promotion von Bernhard Andreas Wagner beschäftigt sich im wesentlichen mit drei Fragen: Worauf kann eine Ethikrichtlinie rechtlich gestützt werden? Welche Inhalte kann sie vor diesem Hintergrund haben? Inweiweit bestehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates? Systematisch aber vielleicht doch etwas brav und ohne zündende Ideen oder allzu kritische Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung arbeitet der Autor diese Fragen aus rein juristischer Sicht ab. Dies gilt letztlich auch für die aus Sicht dieses Blogs interessantesten typsichen Regelungsinhalte solcher betrieblicher Ethikrichtlinien, Verhaltensrichtlinien oder Codes of Conducts: die Regelung von Geheimhaltungspflichten und das Ob und Wie der Regelungen zu internen und externen Whistleblowing-Rechten bzw. Pflichten.
Der Autor vertritt mit der herrschenden Meinung die Auffassung dass deutsche Unternehmen grundsätzlich rechtlich noch nicht zur Einführung von Ethikrichtlinien verpflichtet sind. Weder aus § 130 OWiG, § 12 AGG, § 91 Abs. 2 und § 93 Abs. 1 AktG noch aus dem Deutschen Corporate Governance Codex lasse sich nämlich eine solche Pflicht herleiten. Die Unternehmen hätten vielmehr generell ein weites Ermessen wie sie den dortigen gesetzlichen Anforderungen genügen wollten. Etwas anderes gelte aber für Unternehmen die den §§ 31 u. 33 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unterfallen und eventuell auch nach § 25a KWG, sowie schließlich für diejenigen an US-Börsen gelistete Unternehmen (und deren Töchter) auf die der Sarbanes-Oxley-Act (insbes. Sec. 406 SOX) und/oder die Listed Company Manual (insbes. Sec. 303A.10 LCM – die auch Whistleblower-Ermutigung und -Schutz gebieten) Regeln der New Yorker Börse Anwedung finden.
Aber auch dort wo keine Pflicht zur Einführung von Ethikrichtlinien besteht, können diese laut Wagner vom Arbeitgeber in der Regel eingeführt werden, da sich viele ihrer typischen Inhalte bereits aus dessen Direktionsrecht und der diesbezüglichen Auslegungsregel des § 106 GewO ableiten lassen. Bei den meisten typischen Regelungsinhalten von Ethikrichtlinien gehe es nämlich entweder um die bloß deklaratorische Wiederholung von ohnehin bestehenden Rechtspflichten (etwa zur Gesetzestreue), um das pauschale und damit rechtlich letztlich unverbindliche Bekenntnis zu allgemeinen moralischen Prinzipien (z.B. goldene Regeln, faires Verhalten usw.) oder um die Konkretisierung ohnehin bestehender Nebenpflichten wie insbesondere der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers auf die Interessen des Arbeitgebers. Unbillig ist es jedoch, wenn der Arbeitgeber einseitig seine Interessen durchzusetzen versucht, weshalb vor allem die Grundrechte des Arbeitnehmers (z.B. Art. 2 I , 4, 5, 9 und 12 GG) im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen sind. Aus letzterem folgt, dass Ethikrichtlinien vor allem dann besonders kritisch zu betrachten sind soweit sie außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers regeln. Hier, also z.B. bei Regelungen über die Tätigung von Aktiengeschäften, bedarf es laut Wagner jeweils eines besonders engen Bezugs zu wichtigen Arbeitgeberinteressen und einer klar um- und be-grenzten Regelung (nur bestimmte Aktien nur bestimmte insidergefährdete Zeiträume und Arbeitnehmergruppen) damit solche Eingriffe noch als mit dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer im Einklang und damit als zulässig, angesehen werden können.
Neben dem Direktionsrechts steht zwar grundsätzlich auch noch der Implementationsweg der formularvertraglichen Vereinbarung zur Verfügung, dieser bedarf aber einerseits der Zustimmung jedes Arbeitnehmers und kann aufgrund der Anwendbarkeit der AGB-Regeln und insbesondere des § 307 BGB, nur dann über das bereits mit dem Direktionsrecht Mögliche hinausgehen, wenn dem Arbeitnehmer für die damit verbundene Rechtseinschränkung eine taugliche Kompensation angeboten wird. Demgegenüber muss sich die dritte Implementationsmöglichkeit, nämlich der Weg über eine Betriebsvereinbarung rechtlich innerhalb der gleichen Grenzen bewegen wie jener über das Direktionsrecht, da die betriebliche Mitbestimmung den Arbeitnehmern nur einen Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers gewähren will, aber keine Beschneidungen ihrer individuellen Rechte durch Kollektivvereinbarungen ermöglicht.
Unabhängig von der Rechtsgrundlage zur Implementation ist die Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit einer Ethikrichtlinie, laut Wagner und auch nach einer aktuellen BAG-Entscheidung, für jede ihrer Bestimmungen individuell anhand der insbesondere in § 87 BetrVG geregelten Maßstäbe, zu beurteilen. Eine Mitbestimmung scheidet nach Wagner nach dort aus wo nur eine gesetzliche Verpflichtung wiedergegeben wird (hierzu zählt auch Richterrecht nicht aber ausländisches Recht wie SOX oder LCM) da der Arbeitgeber hier gar keinen Handlungsspielraum hat (so z.B. beim Verbot der Annahme oder Vergabe von Schmiergeldern mit Bezug auf §§ 299f., 333ff. StGB). Ebenfalls keine Mitbestimmungspflicht besteht bei Regelungen die nur die Art der Durchführung der individuellen Arbeit seitens des Arbeitnehmers betreffen (laut Wagner: z.B. Verbot oder Herausgabepflicht bzgl. erhaltener Geschenke – Verbot von AGG Diskriminierungen – Verbot politischer Aktivitäten gegenüber Kunden), nicht aber dessen Verhalten gegenüber seinen Kollegen. Mitbestimmungspflichtig sind hingegen solche Regelungen die das Ordnungsverhalten zwischen den Kollegen regeln (über § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG – z.B. Regelung der poliitischen Betätigung am Arbeitsplatz), allgemeine Verfahrens- und Berichtspflichten einführen (über § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – Meldepflichten für bestimmte Aktiengeschäfte) oder den Entgeltcharakter (über § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG – z.B. Festsetzung der Höhe von Annehmbaren Geschenken) betreffen.
Was die Regelung von Verschwiegenheitspflichten in Ehtikregelungen angeht, so vertritt Wagner die Auffassung, dass der Arbeitgeber dabei zwar über § 17 Abs. 1 UWG hinausgehen dürfe, dies aber nur in zeitlich und sachlich konkret begrenztem Umfange. „All-Klauseln“, also die Verpflichtung zur Geheimhaltung sämtlicher während der Tätigkeit bekannt gewordener Informationen seien demnach unzulässig. Eine Mitbestimmungspflicht bezüglich solcher Regelungen sieht Wagner mangels Einfluss auf die Art und Weise des Zusammenlebens und -wirkens der Arbeitnehmer im Betrieb, nicht.
Was schließlich Whistleblowing-Klauseln in Ethikrichtlinien angeht, so läßt sich laut Wagner die Pflicht der Arbeitnehmer zum Whistleblowing in bestimmten Fällen durchaus aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht herleiten und insoweit über das Direktionsrecht oder durch Betriebsvereinbarungen auch in Ethikrichtlinien einbeziehen. Voraussetzung sei auch dabei aber das Überwiegen des Arbeitgeberinteresses an der Aufklärung von Rechtsverstößen gegenüber dem Arbeitnehmerinteresse auf negative Handlungsfreiheit und Freiheit von sonstigen Beeinträchtigungen (z.B. Denunziationsverdacht durch Kollegen). Erforderlich sei demnach eine dem Arbeitgeber unbekannte Gefahr einer nicht ganz unbedeutenden Schädigung des Arbeitgebers und die Zumutbarkeit der Meldung für den Arbeitnehmer (eine Selbstanzeige ist nicht nötig), wobei letzterer im Hinblick auf Pflichtverstöße jenseits des eigenen Arbeitsumfeldes nur bei erheblichen Gefahren und Schäden zur Meldung verpflichtet sei. Umfassende Klauseln die alle Arbeitnehmer undifferenziert zur Meldung aller Pflichtverstöße verpflichten seien jedoch rechtswidrig, wohingegen entsprechende bloße Appelle zulässig seien. Wagner verneint die Frage, ob Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt werden müsse Meldungen anonym abzugeben, da eine Meldung auch dann zumutbar sei, wenn eine vertrauliche Behandlung und die Nachteilsfreiheit zugesichert würde. Außerdem sind auch die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu beachten, hinsichtlich derer Wagner neben dem Bundesdatenschutzgesetz auf die rechtlich allerdings unverbindliche Stellungnahme der Artikel 29 Arbeitsgruppe verweist, die entsprechenden Ausführungen der nationalen Arbeitsgruppe des Düsseldorfer Kreises aber unerwähnt lässt. Hinsichtlich der Frage, ob dem Arbeitgeber ein Recht zum externen Whistleblowing zusteht, schließt sich Wagner schließlich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an ohne deren Widersprüche zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufzuzeigen. Laut Wagner besteht daher, gerade wenn Ethikrichtlinien mit einer internen Whistleblower-Regelung vorhanden sind, für den Arbeitnehmer regelmäßig eine (durch die ansonsten bestehende Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung bewehrte) Pflicht den Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe vor externem Whistleblowing zu beachten.
Hinsichtlich der Frage der Mitbestimmung bzgl. Whistleblowerregelungen, geht Wagner mit der wohl herrschenden Meinung davon aus, dass diese, selbst wenn sie sich auf einen bloßen Appell beschränken, dem Ordnugnsverhalten zuzurechnen und damit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sind. Allein die Einrichtung einer Telefonhotline ist laut Wagner aber nicht bereits als mitbestimmungspflichtige technische Überwachungseinrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anzusehen, außerdem verneint er die Mitbestimmungspflicht auch hinsichtlich der Androhung von Sanktionen (soweit es sich nicht um eine Bußordnung handelt) und des Gebotes gegenüber Externen Verschwiegenheit zu wahren (soweit nicht zusätzlich Formalien des internen Abhilfeverfahrens geregelt werden).
Wagner, Andreas: Ethikrichtlinien – Implementierung und Mitbestimmung ; ISBN: 978-3832937591; 2008