Das Buch von Martin Lehne „Wirksame Korruptionsprävention durch Einsatz anonymer Hinweisgebersysteme am Beispiel deutscher Krankenhäuser“ basiert auf seiner Diplomarbeit als Wirtschaftsjurist.
Der Autor nähert sich seinem Thema über den Begriff der Korruption im weiteren (Machtmißbrauch für Einzelinteressen) aber auch im engeren strafrechtlichen Sinne und zeigt auch typische Fallgruppen strafrechtlich relevanter Korruptionsformen in Krankenhäusern auf. Genannt werden dabei z.B. Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen, Bestechung und Bestechlichkeit bei Beschaffungsenscheidungen aber auch bei Beratervertägen und Vorteilsannahme im Zusammenhang mit Drittmitteleinwerbung, wenn bei letzterer dienstrechtliche Vorgaben missachtet werden. Dabei nimmt die juristische Subsumtion von Fallbeispielen mehr Raum ein, als die Frage welche Schäden durch Korruption in Krankenhäusern insgesamt verursacht werden.
Letzteres liegt wohl auch daran, dass zum Schadensumfang nur vage Schätzungen existieren. Da Krankenhäuser alleine aber ca. 1/4 der über 200 Mrd. EUR Gesamtumsatz des Gesundheitswesens ausmachen, dürfte auch ein entsprechender Anteil der insgesamt je nach Quelle zwischen 1 und 20 Mrd. EUR bezifferten Korruptionsschäden des Gesundheitswesens auf sie entfallen, zu denen für das einzelne Krankenhaus dann auch noch erhebliche Reputationsschäden hinzukommen können.
Interessant aber letztlich doch etwas knapp ist die Darstellung der bisherigen Anstrengungen von Ärzteschaft, Krankenhausverbänden, einzelnen Krankenhäusern und Kassen zur Korruptionsbekämpfung. Wobei an dieser Stelle, und leider nur an dieser Stelle, auch die über reine Korruptionsrisiken hinausgehenden Risikomeldesysteme in Krankenhäusern wie z.B. CIRS (critical incident reporting systems) kurze Erwähnung finden. Spannend wäre es gewesen zu erfahren, wie der Autor die Fragen des Nebeneinanders oder der möglichen Integration von solchen auf medizinische Fehlererkennung und -verringerung ausgerichteten Systemen mit Hinweisgebersystemen zur Korruptionsmeldung und -bekämpfung beurteilt. Gerade in jener Frage liegt nämlich aus Sicht des Rezensenten einerseits die Chance und andererseits die besondere Herausforderung eines Hinweisgebersystems im Krankenhaus. Dadurch das der Autor sich dieser Problematik nicht stellt, fehlt dann letztlich auch etwas die Verknüpfung dieses ersten krankenhausspezifischen Teils seines Buches mit dem zweiten Teil der sich mit Whistleblowing und der Ausgestaltung von Hinweisgebersystemen befasst, letztlich aber so allgemein gehalten ist, dass die dortigen Aussagen weitestgehend auf jede andere Branche übertragbar sind.
Die zweite Annäherung an das Thema erfolgt dann über die Darlegung des Begriffs des Whistleblowings und seiner unterschiedlichen Grundformen, nämlich nach dem Adressaten, des internen und externen Whistleblowings und nach der Erkennbarkeit des Absenders des anonymen, vertraulichen und offenen Whistleblowings. Dargestellt werden weiterhin die verschiedenen derzeit – generell und bisher wohl kaum in Krankenhäusern – anzutreffenden Formen interner Hinweisgebersysteme, von Hotlines über internetbasierte Systeme und interne Anlaufstellen bis hin zu so genannten „externen Ombudsleuten“. Letztere werden vom Autor favorisiert, da sie über die gesetzlichen Schweigerechte der zumeist beauftragten Anwälte eine Sicherung der Vertraulichkeit ermöglichen und zugleich die, nach Ansicht des Autors mit anonymen Meldemöglickeiten verbundenen, Denunziationsgefahren verringern. Insgesamt gelingt dem Autor hier eine solide Darstellung der derzeitigen tatsächlichen und rechtlichen Situation. Positiv hervorzuheben ist dabei die Klärung des Begriffs „Ombudsmann“ der im vorliegenden Fall hier nur eine Informationsübermittlungsfunktion hat und vom „schwedischen“ Ombudsmann, in Form des selbst mit aufklärenden Konflikt-Vermittlers, in der Tat getrennt weden sollte. Richtiger Weise weist der Autor auch darauf hin, dass bei der Einführung eines Hinweisgebersystems auch zahlreiche Begleitmaßnahmen getroffen werden müssen (z.B. Einbindung des Betriebsrates, Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben, ausreichende Kommunikation, Schutz der Hinweisgeber, klare Stellungnahmen der Unternehmensspitze, Schaffung funktionsfähiger Strukturen zur Hinweisbearbeitung, interne und externe Transparenz) und dass es vor allem darauf ankommt das Vertrauen der potentiellen Hinweisgeber zu erlangen, damit ein solches System auch in der Praxis Erfolge zeitigen kann.
Abschließend noch ein Wort zum Umgang des Autors mit der Problematik der Anonymität. Bemerkenswert ist insoweit zunächst die von ihm durchgeführte Umfrage unter Assistenzärzten, bei der immerhin 43% der Befragten die umfassende Anonymitätssicherung als das entscheidende Kriterium dafür angaben eine Meldung in einem Hinweisgebersystem abzusetzen oder nicht. Dennoch geht der Autor mit jener Problematik insoweit etwas fahrlässig um, als er die anonyme und auch die vertrauliche Meldemöglichkeitung im Rest des Buches weitgehend damit gleichsetzt, dass der Hinweisgeber unerkannt bleiben kann. Nur an einer Stelle findet sich der Hinweis darauf, dass Vertraulichkeit spätestens im staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Verfahren durch Akteneinsichtsrechte ausgehebelt werden kann. Der Hinweis auf die Enttarnbarkeit der Identität des Meldenden durch den Inhalt seiner Meldung fehlt sogar gänzlich. Wie anderswo wird es aber auch in Krankenhäusern in der Regel nur wenige Mitarbeiter geben, die überhaupt für die Beobachtung und damit als Hinweisgeber einer bestimmten korruptionsrelevanten Handlungen in Frage kommen, so dass, erst recht wenn jener Mitarbeiter zuvor seltsame Neugier oder gar kritische Äußerungen an den Tag legte, wirkliche Anonymität – selbst wenn sie für den Übertragungsweg innerhalb der Hinweisgebersystems formal besteht – letztlich auf Grund des Inhaltes der Meldung oft nicht funktioniert. Gerade deshalb hätte dann aber auch erörtert werden müssen, ob rein interne Hinweisgebersysteme ohne wirkliche äußere Absicherung hinreichenden Schutz für Whistleblower gewährleisten können.
Lehne, Martin: Whistleblowing: Wirksame Korruptionsprävention durch Einsatz anonymer Hinweisgebersysteme am Beispiel deutscher Krankenhäuser; ISBN: 978-3639118599; 2009 [b]