Esther Wyler und Margrit Zopfi haben im Sozialamt Zürich auf Missstände, insbesondere die unrechtmäßige Auszahlung von Sozialleistungen hingewiesen und in der Folge nicht nur ihren Arbeitsplatz verloren, sondern sind letztlich sogar strafrechtlich wegen Bruch des Amtsgeheimnisses verurteilt worden. Darüber hatten wir in diesem Blog schon mehrfach berichtet und auch das Buch „Whistleblowing — Bedingungen und internationale Rechtssituation“ von Esther Wyler besprochen.
Jetzt hat uns eine Zuschrift von Esther Wyler erreicht. Ein Brief an das Schweizer Fernsehen, in dem Sie sehr offen schildert, wie es einer Whistleblowerin in der Gesellschaft ergeht, nachdem die mediale Luft aus ihrer Story raus ist. Diesen eindrucksvollen Brief können wir dank Zustimmung von Esther Wyler hier dokumentieren:
Betreff: «Die Auspacker» – und alle wollen Edward Snowden treffen
Sehr geehrter Herr Born
Ich schreibe Ihnen, dem Leiter der Sendungen Dokumentarfilme und Reportagen des Schweizer Fernsehens, weil ich mich in einer Situation befinde, die ich 1. niemandem wünsche und die ich 2. manchmal fast nicht mehr ertragen kann, in einer Situation, die mir oft den Gedanken nahe legt, mich selbst zu entsorgen.
Dies ist weder eine Drohung, noch soll es irgendwie pathetisch klingen, nein, es sind die letzten Jahre, die mich zu dieser einfachen und trockenen Schlussfolgerung geführt haben.
Weshalb? Ich bin eine von den «Auspackern », so nennt sie der Zürcher Tages-Anzeiger in seiner Berichterstattung vom 13. Juli 2013 (http://www.tagesanzeiger.ch/ipad/schweiz/Die-Auspacker/story/18982119), andere Ausdrücke, etwa Verräter, Denunzianten, Illoyale, etc. sind ja hinlänglich bekannt, aber deswegen nicht weniger verletzend und abwertend.
In «skandalträchtigen» Zeiten – und die gibt’s ja immer wieder – sind Whistleblower für die Medien interessant, weil die Menschen solche News gerne lesen bzw. sehen. So waren auch wir, «die beiden Zürcher Whistleblowerinnen » 2007 bis Ende 2011 immer wieder, zu zweit oder auch alleine, medial präsent und glauben Sie mir, das war nicht nur lustig und angenehm. Weder Ihre Kollegen und Kolleginnen vom Schweizer Fernsehen noch die Journalisten der Printmedien mögen meinen Namen überhaupt noch hören: «Ach, jetzt kommt die wieder » werden sie sagen, so stelle ich mir dies jedenfalls vor, weil ich mich immer wieder melde. Noch jedenfalls. Lieber hätte man es, wenn ich endlich schweigen würde.
Die «Zürcher Geschichte » ist längst Schnee von gestern, für die Medien, für die Gesellschaft, fürs Publikum. Für mich ist das Ereignis selbst auch Schnee von gestern. Aber, die «Auspacker» haben ja auch noch ein Leben nach der Story, «ein Nachher». Das interessiert zwar niemanden und doch scheinen alle daran mitzuwirken.
Es kommt mir vor, als würde ich in einer Scheinwelt leben. Mitten in der Gesellschaft, aber dennoch völlig isoliert. bei meiner Jobsuche hat mir nie jemand gesagt: «Ich stelle Sie nicht an, Sie sind eine Whistleblowerin». Und trotzdem scheint die Ausgrenzung über das ganze System hin zu funktionieren, wie ich es mir selbst früher nie hätte vorstellen können. Meine Schwester hat mir letzthin in einem Mail geschrieben: «Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich das gar nicht glauben, dass dies in der Schweiz möglich ist. Es ist ungeheuerlich. » Ob ungeheuerlich oder nicht: Heute bin ich ausgesteuert und habe verstanden, dass die Welt der potentiellen Arbeitgeber mich nicht will bzw. sich nicht in der Lage sieht, mich, egal wo und egal wie, zu beschäftigen.
Diese Tatsache steht in einem eklatanten Widerspruch zu den mächtigen Sympathiewellen, die Whistleblower-Geschichten meistens begleiten. Als wir im Januar 2011 vom Obergericht des Kantons Zürich schuldig gesprochen wurden, schrieb der Zürcher Tages-Anzeiger online: « die Verurteilung von Margrit Zopfi und Esther Wyler hat bei den Leserinnen und Lesern von Tagesanzeiger.ch einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. » (http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Das-stinkt-zum-Himmel/story/10438430). Fast 80 Prozent der Online-Kommentare waren gegen dieses obergerichtliche Verdikt gerichtet. Schön, könnte man meinen: Die Bevölkerung steht hinter uns. Dem ist aber nicht so, anders kann ich es mir nicht erklären, weshalb ich nach aberhunderten von Bewerbungen keine feste Anstellung mehr finden konnte. denn auch Arbeitgeber gehören ja zur Bevölkerung. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass die Menschen – auch die, die dich scheinbar unterstützen – eine Doppelmoral leben und die Ausgrenzung von Whistleblowern gesellschaftlich gewollt und erwünscht ist. Ich habe versucht, dies in meinem Buch (Whistleblowing – Bedingungen und internationale Rechtssituation, Elster Verlag 2012) darzustellen.
Interessiert verfolge ich zurzeit die Debatte um Edward Snowden. Parlamentarier aus ganz Europa möchten ihn, den Wissensträger, nun treffen. Nicht bei sich zu Hause selbstverständlich, sondern in Moskau. Immer dasselbe, alle wollen sie wissen und profitieren, aber den Träger des Wissens will niemand.
Ich mag mir nicht vorstellen, wie es Menschen ergehen mag, die etwas für die Gesellschaft tun wollten, es aber nicht «geschafft » haben, an die Öffentlichkeit bzw. die Medien zu gelangen. Ich denke, deren Entsorgung ist noch leichter und verläuft noch stiller. Und alle haben trotzdem daran teil.
Was mich betrifft: Die letzten Jahre haben mich an die Grenzen meiner physischen und psychischen Kräfte gebracht. «Dank » meiner Arbeitslosigkeit hatte ich wenigstens die Zeit, mich in den letzten zwei Jahren (zusammen mit meiner Schwester) um meine Eltern zu kümmern, sie zu betreuen und in den Tod zu begleiten. Nun sind sie – die sie immer an mich geglaubt und mich moralisch unterstützt haben – weg.
Mitten in der Gesellschaft und doch völlig daneben. das Leben einer Whistleblowerin dann, wenn die Story vorbei ist. Eigentlich war mir immer daran gelegen, mich dafür einzusetzen, dass Dissidenten, Abweichler, Andersdenkende – in meinem Fall – Whistleblower, nicht weiterhin strafrechtlich abgeurteilt, beruflich und wirtschaftlich vernichtet, totgeschwiegen, ausgegrenzt und tabuisiert werden. aber, dieses Leben hält man als sensibler Mensch nicht ewig aus. Und wie soll ich mich überhaupt einsetzen, wenn es gar niemand hören will.
Vielleicht sind Sie an einer Reportage interessiert, die einmal ungeschminkt den gesellschaftlichen Umgang mit Whistleblowern beleuchtet, daran, weshalb es so ist, wie es – immer wieder – ist.
Beste Grüsse
Esther Wyler
Die Problematik der Ausgrenzung von Whistleblowern war gestern auch Thema im „Wort zum Sonntag“. „die Wahrheit wird euch frei machen„, wurde dort die Bibel zitiert. Whistleblower, die Querulanten und Nestbeschmutzer, wurden mit biblischen Propheten verglichen, die willkommen geheißen werden sollten. So richtig und wichtig die Aussagen von Pastorin Annette Behnken sind, es kommt wie der Brief von Esther Wyler zeigt auch darauf an, nicht nur die Geschichte hören zu wollen sondern auch den Menschen zu helfen und ihnen mehr als einen Kaffee und eine Luftmatratze für eine Nacht anzubieten aus der die Luft dann ganz schnell wieder raus ist.