Haben die Grünen verstanden, dass der Gesetzgeber aktiv werden und Whistleblower in Deutschland zukünftig besser schützen muss? So lautet die Kernfrage nach der Podiumsdiskussion mit Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele und den Whistleblowing-Experten Dieter Deiseroth und Björn Rhode-Liebenau welche am 17.9. in Berlin auf Einladung der Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen stattfand.
In seinem Einführungsreferat erläuterte der Richter am Bundesverwaltungsgericht Deiseroth, was er unter Whistleblowing versteht, in welchen Konfliktsituationen es dazu kommt und welche Vorteile besserer Schutz von Whistleblowern und die damit verbundene Risikofrüherkennung auch für Staat und Unternehmen haben könnte. Konkret schlug Deiseroth acht Maßnahmen des Gesetzgebers vor, die durch einen öffentlichen Diskurs in der Zivilgesellschaft unterstützt und eingefordert werden sollten:
- Ratifizierung des Zivilrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats
- Umsetzung der Vorschläge zur Änderung des Bundesbeamtengesetzes und des Beamtenstatusgesetzes bzgl. Korruptionsanzeigen
- Einführung entsprechender arbeitsrechtlicher Schutzregelungen in den §§ 611 ff. BGB
- Sanktionsfreies Anzeigerecht bei allen Straftaten
- Umfassende Drittwirkung von Meinungsäußerungsfreiheit, Gewissensfreiheit und Petitionsrecht auch im Privat- und Arbeitsrecht kombiniert mit Leistungsverweigerungsrecht, Maßregelungsverbot und Beweiserleichterungen für Beschäftigte
- Verbesserter Informantenschutz und wirksamer Schutz von Journalisten
- Informations- und Datenschutzrechte für Beschuldigte
Björn Rohde Liebenau, Rechtsanwalt und Inhaber von RCC, stellte den Aspekt der richtigen Risikokommunikation in Unternehmen und Organisationen in den Mittelpunkt seines Impulsreferats. Betriebs- und organisationsinterne Regelungen, wie es sie derzeit nur in wenigen deutschen Großunternehmen gebe, trügen dem oft nicht genügend Rechnung und enthielten widersprüchliche Botschaften. So z.B. wenn sich dort einerseits die Pflicht zur Meldung und andererseits das Verbot die Meldenden zu sanktionieren fänden. Derartige Kombinationen seien bei anderen Regelungen kaum vorstellbar, zeigen jedoch dass Whistleblowing eigentlich nicht willkommen ist. Als Beispiel verwies er auf seine Studie zum Whistleblowerschutz in den Europäischen Institutionen und die dort entwickelten „best practice“ Kriterien. Was staatliche Regelungen angeht verwies Rohde Liebenau darauf, dass auch Whistleblowerschutzgesetze in anderen Ländern oft zu kurz greifen würden. Ein richtiger Ansatz, nämlich die Kombination von Sanktion und Anreiz, fände sich aber z.B. in den US sentencing guidelines. Dort würden zwar einerseits – in Deutschland fehlende – harte unternehmensstrafrechtliche Sanktionen angedroht. Andererseits wird dort jenen Unternehmen die Risikokommunikation in der Praxis effektiv umsetzen und dies nachweisen können, jedoch die Möglichkeit eingeräumt, darzulegen, dass es sich im konkreten Fall um einen Einzelfall handelt für die nur die individuellen Akteure verantwortlich sind.
Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Ströbele berichtete zunächst darüber, dass er täglich von Bürgerinnen und Bürger auf große und kleine Missstände und Ungerechtigkeiten hingewiesen werde und sich bei ihm mittlerweile 40 Aktenordner derartiger Beschwerden angesammelt hätten. Die Hinweisgeber würden dann von ihm ein Einschreiten bis hin zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen verlangen. Die Fraktion der Grünen habe im Bundestag auch bereits im Februar 2007 einen Antrag gestellt, der die Bundesregierung zum besseren Schutz von Whistleblowern auffordert. Anderseits habe ihm die Diskussion um das Korruptionsregister gezeigt, dass es auch darum ginge die Beschuldigten vor falschen Verdächtigungen und unberechtigten öffentlichen Vorwürfen zu schützen, die ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz gefährden könnten.
In der Diskussion zwischen den Podiumsteilnehmern hielten Deiseroth und Rohde Liebenau dem entgegen, dass das geltende Recht bereits einen ausreichenden Schutz der Beschuldigten gewährleistet. Insbesondere Unternehmen könnten dem einzelnen Whistleblower kündigen, und ihn mit Unterlassungerklärungen, vorläufigem Rechtsschutz, Widerrufs- und Schadensersatzklagen überziehen, was z.B. auch in den Fällen Margrit Herbst (Schadensersatzklage iHv. 500.000DM) und Brigitte Heinisch (Kündigung) geschehen und diese Whistleblowerinnen in große Probleme gestürzt habe. Demgegenüber sei der Schutz der Whistleblower völlig unterentwickelt. Laut Deiseroth „verweist das geltende Recht den Whistleblower auf Interessenabwägungen im Einzelfall die kaum kalkulierbar von Gericht zu Gericht und Instanz zu Instanz unterschiedlich ausfallen können und für den Whistleblower viele Fallstricke statt Schutz bereit halten“. Moderator Hans Leyendecker ergänzte aus journalistischer Sicht: „Je älter ich werde, umso mehr komme ich zu dem Schluss dass ich den Leuten abrate. Die betroffenen Organisationen suchen immer nach der undichten Stelle und angenehm war es allenfalls für diejenigen Whistleblower, die es auf Dauer geschafft haben anonym zu bleiben und auch im Nachhinein darauf verzichtet haben sich selbst zu outen“.
Diesen Einschätzungen pflichteten auch die im Publikum anwesenden beiden Preisträgerinnen des Whistleblowerpreises 2007 bei. Brigitte Heinisch verwies auf die Missstände in vielen Pflegeheimen gegen die kaum etwas getan werde obwohl letztlich doch jeder alt und pflegebedürftig und somit Opfer werden könnte: „Eigentlich müsste es für eine Demokratie doch selbstverständlich sein, dass Meinungsfreiheit nicht am Werkstor endet.“
Dementsprechend zog Dieter Deiseroth am Ende der Veranstaltung auch das Fazit: „Ein angstfreier Diskurs ist unverzichtbar. Ziel muss eine repressionsfreie demokratische Streitkultur sein, die durch gesetzgeberische Initiativen zum Whistleblowerschutz gefördert werden könnte.“ Es bleibt aber die Frage, ob die Grünen diese Botschaft noch erreicht hat, Herr Ströbele jedenfalls war zu jenem Zeitpunkt schon enteilt um an der Afghanistan Diskussion seiner Fraktion teilzunehmen.