Das Buch von Antje Bultmann versteht sich, im Gegensatz zu den meisten anderen an dieser Stelle bereits vorgestellten Büchern, weniger als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem kleinen Teilaspekt des Themas Whistleblowing, sondern will, wie der Untertitel „Zivilcourage und Whistleblowing“ andeutet, vor allem wohl ein Plädoyer für eine Orientierung an Helden mit Zivilcourage sein.
Die Darstellung einzelner Fälle steht denn auch im Mittelpunkt des Buches. Dies sind vor allem Fälle von ethischen Dissidenten, die ohne Eigennutz unbequeme Wahrheiten ans Licht bringen, denn dies ist der Whistleblower-Begriff den Antje Bultmann, die sich bereits seit 20 Jahren mit dem Thema beschäftigt und Whistleblower unterstützt, ihrem Arbeiten zu Grunde legt. Bultmanns Helden kämpfen mit offenem Visier, denn: „Wenn jemand nicht den Mut hat an die Öffentlichkeit zu gehen, riskiert er unter Umständen, dass seine Botschaft nicht ernst genommen wird. Spekulationen über den möglichen Verräter stehen im Vordergrund“.
Vorgestellt werden Fälle aus Deutschland, wie der Trierer Neurologe und Psychiater Dr. Peter Binz, der seine Patienten beim Nachweis toxikologischer Schädigungen am Arbeitsplatz unterstützt und sich so Ärger mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der Staatsanwaltschaft einhandelte oder Professor Rainer Frentzel-Beyme der als Umweltgutachter an der Universität Bremen
auf Krebsrisiken durch die chemische Industrie hinwies. Im Mittelpunkt des Buches stehen aber internationale Fälle rund um die Themen Krieg, Umwelt- und Gesundheitsgefahren und vor allem auch Wissenschafts- und Fortschrittsrisiken.
Speziell geht es z.B. um die Gefahren des Einsatzes von DU-(Depleted-Uranium)-Munition, also von Munition aus abgereichertem aber dennoch stark radioaktivem Uran. Diese Munition wird von den US-Streitkräften seit Jahrzehnten regelmäßig ob am Golf oder im Kosovo eingesetzt und führt zu schwersten Strahlenschäden bei der lokalen Bevölkerung, ebenso wie bei den eigenen Soldaten. Bultmann schildert wie diese und verschiedene Ärzte, darunter auch Siegwart Horst Günther aus Deutschland, seit Jahren versuchen dieses Thema ins öffentliche Bewusstsein zu bekommen und einen Einsatzstopp sowie Schadensersatzzahlungen zu erreichen und sich dabei selbst massiven Angriffen ausgesetzt sehen.
Weitere Beispiele wie kritische Stimmen – vor allem auch aus der Wissenschaft – mundtot gemacht werden (sollen) zeigen sich laut Bultmann bei der Diskussion um die Wirksamkeit der Raketenabwehrsysteme der USA (Ted Postol und Nira Schwartz) , beim Ignorieren der Tsunami-Gefahr in Thailand vor dem 26.12.2004 (Samith Dharmasaroja) oder bei der Diskussion um die Gefährlichkeit von Handy-Strahlung (George Carlo und Studien der MedUni Wien zu GMS und UTMS). Statt durch wissenschaftlichen Diskurs sind all diese Themen laut Bultmann vor allem geprägt von der Eindämmung kritischer Stimmen durch mächtige Interessensvertreter und Nutznießer – zu lasten von Menschen und Umwelt.
Als Gegenmittel fordert Bultmann dabei weniger eine Techonolgie-Riskienfolgenabschätzung, die – zu spät – einsetze, nachdem eine Technologie im Prinzip schon etabliert sei, sondern setzt auf mehr Verantwortungsübernahme durch die Wissenschaftler selbst. Sie verweist dabei vor allem auf die von Guillermo Eguiazu (einen argentinischen Wissenschaftler der selbst zahlreichen Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt ist) entwickelte „Technopathogenologie (TPG), die Lehre von der Entstehung pathologischer Auswirkungen einer Technik“: „Die TPG untersucht – von der wissenschaftlichen Idee bis zur Fertigstellung eines Produkts oder Verfahrens – systematisch alle Faktoren, die auf ein späteres mögliches Gesundheitsrisiko für den Verbraucher hinweisen. Dieses Konzept schließt nicht nur eine naturwissenschaftliche, sondern auch eine ethische Analyse ein“.
In diesem Sinne enthält Antje Bultmanns Buch dann neben den Zehn Schritten zum effektiven Whsitleblowing von Don Soeken dann auch zwanzig Thesen „Für eine transparente und lebensfreundliche Wissenschaft und Technik„.
Den Abschluss des lesenswerten Buches bildet ein Nachwort von Professor Hans See, dem Vorsitzenden von Business Crime Control, in dem dieser zum Whistleblowing, zum „guten Verrat“ auffordert. Dafür komme es darauf an ethischen Werten und der Menschenwürde und den Rechtsgütern einer demokratisch verfassten Gesellschaft einen höheren Rang einzuräumen als den Interessen eines Vorgesetzten, einer Bürokratie oder eines Wirtschaftsunternehmens. Wenn es darum geht Kindesmissbrauch oder Folter aufzudecken sei dieser gute Verrat bereits gesellschaftlich akzeptiert in vielen anderen Bereichen aber leider noch nicht.
Bultmann, Antje: Helden im Schatten der Gesellschaft — Zivilcourage und Whistleblowing; ISBN: 978-3-86539-339-0; 2010