Bundestag und Bundesrat haben endlich ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet und mit anderthalbjähriger Verspätung die EU-Whistleblowing-Richtlinie umgesetzt.
„Das Hinweisgeberschutzgesetz stellt zwar einen Meilensteinchen für den Whistleblowerschutz in Deutschland und eine Verbesserung gegenüber dem prekären Status quo dar. Das Ziel, die Rechte von Whistleblowern umfassend zu stärken, verfehlt es jedoch an einigen Stellen. Der Bedeutung von Whistleblowing für den Journalismus und damit den öffentlichen Diskurs wird es ebenso wenig gerecht“, so die Quintessenz des Geschäftsführers von Whistleblower-Netzwerk, Kosmas Zittel.
Whistleblower leisten einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl, indem sie frühzeitig auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen und so dazu beitragen, größeren Schaden abzuwenden. Für ihre Zivilcourage zahlen Whistleblower einen hohen Preis bis hin zum Jobverlust. Das im Hinweisgeberschutzgesetz vorgesehene Verbot von Repressalien ist daher mehr als überfällig. Gänzlich verhindern wird das Gesetz Repressalien aber nicht. Einen Entschädigungsanspruch bei immateriellen Schäden (z.B. infolge von Mobbing) oder einen Unterstützungsfonds zur Finanzierung kompensatorischer Leistungen und rechtlicher und psychologischer Beratung für Whistleblower beinhaltet das Gesetz trotzdem nicht (obwohl damit gegen europäische Vorgaben verstoßen wird).
„Arbeitgeber spielen ihre strukturellen Vorteile gegenüber Whistleblowern teilweise unerbittlich aus und versuchen sie so zu zermürben – leider oft erfolgreich. Mit den Folgen dieser häufig traumatischen Erfahrungen haben Whistleblower lange zu kämpfen. Der fehlende Schmerzensgeldanspruch für immaterielle Schäden zeigt, dass der Gesetzgeber nicht verstanden hat, welchen schwerwiegenden Belastungen Whistleblower ausgesetzt sind“, kritisiert Martin Porwoll, Whistleblower im Bottroper Zyto-Skandal und Vorstandsmitglied von Whistleblower-Netzwerk.
Zweifelsohne sieht das Gesetz wichtige Verbesserungen für Whistleblower vor, wenn sie Straftaten oder bestimmte Ordnungswidrigkeiten melden. Dazu gehört,
- dass künftig der Arbeitgeber beweisen muss, dass eine Repressalie nicht mit dem Whistleblowing im Zusammenhang steht („Beweislastumkehr“). Bislang musste der Betroffene belegen, dass sein Whistleblowing der Grund für die Benachteiligung war, in der Praxis fast unmöglich.
- dass Whistleblower frei wählen können, ob sie sich unmittelbar an eine staatliche („externe“) Hinweisgeberstelle oder zunächst an eine beim Arbeitgeber angesiedelte („interne“) wenden („Wahlfreiheit“). Bislang galt ein Vorrang für interne Meldungen. Whistleblower können am besten einschätzen, welches der vielversprechendste und vertrauenswürdigste Weg ist.
- dass Arbeitgeber mit mehr als 50 Beschäftigten interne Meldestelle einrichten müssen, an die sich Whistleblower vertraulich wenden können.
Verbesserungen wie o.g. greifen nur im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereichs des Hinweisgeberschutzgesetzes. Der ist auf Hinweise zu Straftatbeständen und bestimmte Ordnungswidrigkeiten beschränkt. Weitgehend pauschal vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen sind:
- erhebliches Fehlverhalten oder Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße. Dabei weisen Whistleblower u.a. auf staatliche Regelungs- und Kontrolllücken hin.
- Rechtsverstöße, wenn es sich dabei um Angelegenheiten der nationalen Sicherheit oder Verschlusssachen handelt.
Journalistische Arbeit wird durch diese Ausnahmetatbestände und die engen Vorgaben für öffentliches Whistleblowing erschwert. Offenlegungen gegenüber den Medien sind nur in wenigen Ausnahmefällen geschützt, v.a. bei einer „unmittelbare[n] oder offenkundige[n] Gefährdung des öffentlichen Interesses“ (§ 32 HinSchG). Dabei erfährt die Gesellschaft oft erst durch die Zusammenarbeit von Journalist*innen und Whistleblowern von politischen und wirtschaftlichen Skandalen, Machtmissbrauch und staatlichem Kontrollversagen.
„Die restriktiven Regelungen bei Offenlegungen gegenüber den Medien und die Einschränkungen beim sachlichen Anwendungsbereich wiegen schwer. Gravierende Missstände werden so weiterhin nur in Ausnahmefällen ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Die Chance, die Pressefreiheit und damit den demokratischen Diskurs zu stärken, wurde verpasst“, bemängelt Rechtsanwalt Klaus Bergmann, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand von Whistleblower-Netzwerk.
Hoffnung bereitet der Bundestagsbeschluss vom 16.12.2022. Darin wird die Bundesregierung u.a. aufgefordert, den Bedarf für finanzielle Unterstützungsangebote für Whistleblower und Nachbesserungen im Geheimschutzbereich zu prüfen. Whistleblower-Netzwerk wird darauf drängen, dass es nicht bei einer bloßen Prüfung bleibt.
Das Hinweisgeberschutzgesetz wird am 2. Juli 2023 in Kraft treten (einen Monat nach der „Verkündung“). Sechs Monate später können Bußgelder gegen Arbeitgeber verhängt werden, wenn sie die vorgeschriebenen internen Meldestellen nicht eingerichtet haben.
Weitere Informationen
- Beschluss des Bundestags (11.05.2023)
- WBN-Pressemitteilung zur Einigung im Vermittlungsausschuss (09.05.2023)
- Gesetzesbeschluss des Bundestags (16.12.2022)
- WBN-Pressemitteilung und Stellungnahme für die zweite öffentliche Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (27.03.2023)
- WBN-Pressemitteilung zur ersten Lesung des Bundestags (15.03.2023)
- WBN-Pressemitteilung zum Bundestagsbeschluss (16.12.2022)
- WBN-Pressemitteilung zur ersten öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses (19.10.2022)
- Stellungnahme zum Referentenentwurf von Martin Porwoll (11.05.2022)
- Podcast-Interviews zum Regierungsentwurf (u.a. mit Martin Porwoll)
Kontakt:
Whistleblower-Netzwerk e.V. (WBN)
Kosmas Zittel, Geschäftsführer
zittel@whistleblower-net.de
Tel: +49 176 84915150