Entgegen dem, was manche Gegner eines umfassenden Whistleblower-Schutzes neuerdings behaupten, enthält der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD keine Bestimmung, aus der sich ableiten ließe, dass man die Whistleblower-Richtlinie 1:1 umsetzen müsse.
„1:1 Umsetzung“ bedeutet, dass potentielle Whistleblower nur Verstöße gegen bestimmte europarechtliche Vorschriften melden dürfen. Verstöße gegen nationales Recht (z.B. allgemeines Strafrecht) unterlägen weiterhin der Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmer.
Was in den Koalitionsvertrag auf Drängen von Wirtschaftsvertretern tatsächlich aufgenommen wurde, sind vier vereinzelte Absichtserklärungen, nach denen EU-Richtlinien im Interesse des „Bürokratieabbaus“ in Einzelbereichen grundsätzlich 1:1 umgesetzt werden sollten. Das gilt namentlich für das Planungs- und Umweltrecht, wo man den Einfluss der Europäischen Union – unabhängig davon, wie sinnvoll deren Vorgaben im konkreten Fall sind – begrenzen möchte, um die Wirtschaft vor (möglichen) Zusatzkosten zu bewahren.
Für die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie ist das alles ohne Bedeutung. Der Schutz von Whistleblowern und der Abbau bürokratischer Genehmigungsverfahren haben schlicht nichts miteinander zu tun. Wenn überhaupt, kann man aus dem Koalitionsvertrag gute Gründe für eine Erweiterung des Whistleblower-Schutzes zur Aufdeckung „deutscher“ Straftaten und Missstände ableiten. Denn zum einen dient der Schutz mutiger Whistleblower, die die Machenschaften „schwarzer Schafe“ in der Wirtschaft aufdecken, auch all jenen Unternehmen, die sich an geltendes Recht halten.
Zum anderen bedeutete eine 1:1-Umsetzung nicht weniger, sondern sogar mehr Kosten für die Wirtschaft. Würde es dazu kommen, müssten Unternehmen oft ausgebildete Unionsrechtsexperten einstellen, die in unternehmensinternen Whistleblowing-Stellen die kaum zu leistende Aufgabe übernähmen, bei jeder Meldung über Rechtsverstöße erst mühsam herauszufiltern, ob der jeweilige Verstoß nun unter die erfassten Einzelbereiche des Unionsrechts oder unter nationales Recht fällt. Handelte es sich „nur“ um einen Verstoß gegen nationales Recht (was bei den meisten Wirtschafsstraftaten und schweren Gewalttaten der Fall ist), dann müsste sich die unternehmensinterne Whistleblowing-Stelle regelmäßig für unzuständig erklären und dem Whistleblower den Schutz vor Repressalien verweigern.
Das kann weder im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes demokratischer Gesellschaften noch im Interesse der deutschen Wirtschaft als wünschenswert betrachtet werden.