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Liebe Mitglieder, liebe Förderer, sehr geehrte Damen und Herren,

am 17. Dezember 2021 ist die Umsetzungsfrist für die Richtlinie zum Whistleblowerschutz (WB-RL) abgelaufen. Nun muss sich die neue Regierung mit einem Whistleblowerschutz-Gesetz beeilen.

In Deutschland gibt es mehr als 40 Millionen Arbeitnehmer in Unternehmen, Behörden und anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die durch das Loyalitätsgebot ihrem Arbeitgeber gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, selbst wenn sie Rechtsverstöße oder erhebliche Missstände in ihrem Arbeitsumfeld bemerken. Wenn sie trotzdem Alarm schlagen, fliegen sie raus.

Wie schon die Tierärztin Dr. Margit Herbst 1995 (Fleisch von BSE-Kühen in der Verarbeitung für den Verzehr), die Altenpflegerin Brigitte Heinisch 2005-2011 (unerträgliche Zustände in einem Altenheim) oder Martin Porwoll 2018 (gepanschte Krebsmittel in einer Bottroper Apotheke). Seit 30 Jahren sind Whistleblower in Deutschland einer drohenden Kündigung am Arbeitsplatz und vor Gericht weitgehend schutzlos ausgeliefert.

Seit zwei Jahren will die EU mit einer Richtlinie Machtmissbrauch und Willkür einen Riegel vorschieben. Whistleblower sollen unter bestimmten Bedingungen vor Kündigung und anderen Repressalien geschützt werden. Die Richtlinie hätte bis zum 17. Dezember in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Nun steht fest: Diese Frist hat die Große Koalition gerissen. Und nun?

Nun haben wir Grund zu der Hoffnung, dass die neue Regierung sich an eine vernünftige Umsetzung macht. Im Koalitionsvertrag steht:
„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften [des deutschen Rechts] oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote.“

So weit, so gut. Aber der Teufel wird auch hier wieder im Detail stecken. Wir von WBN haben die Ausgestaltung der Richtlinie in Brüssel und den gescheiterten Umsetzungsversuch in Deutschland zwei Jahre lang politisch mit unseren Forderungen begleitet. Dabei haben wir einiges erreicht. Wir werden auch der neuen Regierung unser Erfahrungswissen zur Verfügung stellen, zum Beispiel in Bezug auf die einzurichtende Beratungsstelle und die überfällige finanzielle Unterstützung für Whistleblower. Jeder und jede soll künftig ohne Angst vor Nachteilen Schäden für die eigene Organisation oder das Gemeinwohl aufdecken dürfen.

Um das zu erreichen, brauchen wir selbst Unterstützung.
Ihre Unterstützung. Helfen sie uns und allen künftigen Whistleblowern.

Bitte spenden Sie!
Dann schaffen wir das!

Vielen Dank für vergangene und künftige Unterstützung, genießen Sie die Feiertage trotz der Corona-bedingten Einschränkungen.

Das wünscht Ihnen allen
Ihre
Dipl.-Pol. Annegret Falter
Annegret Falter
(Vorsitzende)

Inhaltsverzeichnis

1. Editorial
2. Aus Politik und Gesetzgebung
  • Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie
  • Staatstrojaner
3. Aktuelle Whistleblowing-Fälle
  • Francis Haugen, Facebook
  • Neuer Zysto-Skandal in Chemnitz
  • Zwangsarbeiter bei Mannesmann
  • Datenleck bei Modern Solutions
  • Rekordprämie für Deutsche-Bank-Whistleblower
  • Sicherheitsmängel bei Hyuandai
  • Blueprint Whistleblowing Prize
4. In eigener Sache
  • Mitgliederversammlung mit Vorstandswahlen
5. Empfehlungen
  • EQS Whistleblowing-Report
  • Mitarbeiterbefragung zu Hinweisgebersystemen
  • WBN-Organisationsberatung
  • ARD-Dokumentation über Wirecard-Skandal
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2. Aus Politik & Gesetzgebung

Mehr als zwei Jahre Zeit hatten die EU-Mitgliedsstaaten die im Oktober 2019 verabschiedete EU-Whistleblowing-Richtlinie (2019/1937) in nationales Recht umzusetzen und so für eine Verbesserung des Whistleblowerschutzes zu sorgen. Wie viele andere Mitgliedsstaaten lässt Deutschland diese Frist verstreichen. Warum die Richtlinie trotzdem bereits jetzt für einen stärkeren Whistleblowerschutz sorgt, haben wir in einer Pressemitteilung dargelegt. Weitere Verbesserungen erhoffen wir uns von der neuen Bundesregierung. War die letzte Bundesregierung noch an einer Einigung auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf gescheitert, bekennt sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag zu einer „rechtssicheren und praktikablen“ Umsetzung der Richtlinie. Dabei will sie über eine 1:1-Umsetzung der Richtlinie hinausgehen und Whistleblowern auch bei der Aufdeckung von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten schützen, wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Zur möglichen Erleichterung von Offenlegungen äußert sich der Koalitionsvertrag dagegen nicht. Bei Verschlusssachen will die Ampel-Koalition ebenfalls für Verbesserungen sorgen und eine unabhängige Kontrollinstanz für Streitfragen bei VS-Einstufungen schaffen. Eine derartige Instanz könnte auch als Anlaufstelle für Whistleblower aus dem Geheimschutzbereich fungieren.
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Die gesetzlichen Vorgaben zum Einsatz von Staatstrojanern erlauben Geheimdiensten die Überwachung der digitalen Kommunikation von Bürger*innen, ohne dass ein konkreter Tatverdacht vorliegt. Dies stellt eine grundsätzliche Gefährdung bürgerlicher Freiheitsrechte dar und bedeutet ein Risiko für Whistleblower, weil ihre Anonymität so nicht mehr gewährleistet werden kann. Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen und Investigativjournalist*innen haben wir daher Klage gegen diese Überwachungsbefugnisse eingereicht.

3. Aktuelle Whistleblowing-Fälle

Free Assange
Als ein Londoner Gericht im Januar die Auslieferung von Julian Assange an die USA ablehnte, war die Erleichterung groß. Umso größer ist das Entsetzen, dass der britische High Court of Justice der Berufung der USA stattgegeben hat. Schließlich drohen ihm in den USA ein fragwürdiger Prozess und bis zu 175 Jahre Haft unter unmenschlichen Bedingungen. Anders als die Erstinstanz sahen die Richter des High Courts keine Suizidgefahr bei Assange. Es wird argumentiert, dass die von den USA seit dem erstinstanzlichen Urteil gegebenen Zusicherungen ausreichend seien, um die Sorgen um Assanges Gesundheit auszuräumen. Ohne die Veröffentlichungen von Wikileaks und dessen Herausgeber Julian Assange wüssten wir zum Beispiel nicht, welche Grausamkeiten gegen Zivilisten im „Kampf gegen den Terror“ begangen wurden. Das Vorgehen der USA gegen Assange trifft daher nicht nur ihn – es trifft auch Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit im Allgemeinen und damit fundamentale Werte von Demokratie und Rechtsstaat.

Wir dokumentieren die Entwicklung des Falles von Julian Assange auf unserer Webseite.

Jahrelang versuchte Francis Haugen ihren Arbeitgeber Facebook von innen zu verändern. Als ihr die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens bewusst wurde, kopierte sie zehntausende Seiten an internen Forschungspapieren, die zeigen, wie viel der Konzern über die zerstörerische Wirkung seiner Produkte weiß, reichte Beschwerde bei der Börsenaufsichtsbehörde (SEC) ein und wandte sich an die Öffentlichkeit. Haugens Weitergabe von Dokumenten an die SEC ist nach allgemeiner Einschätzung rechtlich geschützt – ob ihr aus der Kommunikation mit den Medien Konsequenzen drohen, ist umstritten.

Nicht immer werden aus den Aufdeckungen von Whistleblowern die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, wie der neue Zysto-Skandal von Chemnitz zeigt. Nach der Aufdeckung der systematischen Unterdosierung von Krebsmedikamenten Ende 2016 bei seinem damaligen Arbeitgeber hatte unser Vorstandsmitglied Martin Porwoll eine strengere Kontrolle und Regulierung der Zytoapotheker gefordert. Nun wurde bekannt, dass ein Chemnitzer Apotheker ebenfalls fehldosierte Krebsmedikamente ausgeliefert hat. Ähnlich wie im Fall der Bottroper Alten Apotheke um Martin Porwoll kamen die Ermittlungen erst nach der mutigen Meldung eines Hinweisgebers an die Aufsichtsbehörde in Gang.

Der Fall von Martin Porwoll ist Teil unserer Ausstellung „Licht ins Dunkel bringen“, in der wir die Geschichten von deutschen Whistleblowern erzählen. Gerne zeigen wir unsere Ausstellung in Ihrer Nähe! Mehr Information finden Sie hier.
Ausstellung
In den Jahren 1940 bis 1945 setzte Mannesmann in großem Stil Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangene in seinen Werken ein. Während an manchen Standorten eine aktive Aufarbeitung der Geschichte betrieben wurde, hieß es beim Standort Düsseldorf-Rath, es gebe keine Unterlagen mehr, sie seien alle während der Bombenangriffe zerstört worden. Als ein Mitarbeiter im Archiv auf Listen ehemaliger Zwangsarbeiter stieß und dies der Personalabteilung meldete, wurde ihm gedroht, er solle bei der alten Geschichte bleiben oder werde gefeuert.

Ein Programmierer deckte ein umfangreiches Datenleck bei seinem Auftraggeber, der Firma Modern Solution auf, von dem potenziell 700.000 Kunden bei Onlinemarktplätzen wie Otto, Check24 oder Kaufland betroffen waren. Statt ihm für das Melden der Sicherheitslücke zu danken, zeigte ihn sein Auftraggeber an.

Wir befürworten eine Entschädigung von Whistleblowern zum Ausgleich von persönlichen Nachteilen, einer finanziellen Belohnung stehen wir dagegen kritisch gegenüber – im Gegensatz zur USA. Dort hat die US-Aufsichtsbehörde CFTC einem Ex-Mitarbeiter der Deutschen Bank eine Rekordbelohnung von fast 200 Millionen Dollar gezahlt. Er hatte US- und britische Aufsichtsbehörden maßgeblich bei der Untersuchung der Manipulation globaler Zinsbenchmarks durch die Deutsche Bank unterstützt, infolge derer Geldstrafen in Höhe von insgesamt mehr als drei Milliarden US-Dollar verhängt wurden.

Ebenfalls eine Rekordsumme hat der Südkoreaner Kim Gwang-ho erhalten. Der Ingenieur deckte auf, dass sein ehemaliger Arbeitgeber Hyuandai zu wenig gegen einen Motorfehler tue, der zu Unfällen führe, und erhielt dafür 24 Millionen US-Dollar von den zuständigen US-Behörden – so viel wie kein anderer Whistleblower aus der Automobilbranche zuvor. Mit einem neuen Programm wollen US-Behörden nun mehr Anreize für Whistleblower aus der Automobilbranche schaffen.

Sie sind auf Missstände im Arbeitsumfeld gestoßen und suchen Rat? Dann informieren Sie sich auf unserer Webseite und wenden sich über unsere geschütztes Whistleblowing-Portal an unser Beratungsteam.
Beratungsangebot
Mit dem „Blueprint Whistleblowing Prize“ werden exemplarisch Menschen ausgezeichnet, die den Mut hatten, gravierende Missstände und Fehlentwicklungen aufzudecken. Zu den zehn Preisträger*innen für 2021 gehören unter anderem der Wirecard-Whistleblower Pav Gill und Daniel Ellsberg, der 1971 mit der Veröffentlichung der Pentagon Papers die jahrelange Täuschung der Öffentlichkeit über wesentliche Aspekte des Vietnamkriegs ans Licht brachte.

4. In eigener Sache

Am 27. November fand die Mitgliederversammlung 2021 statt, bei der einige der Vorstandsmitglieder turnusgemäß neu- bzw. wiedergewählt wurden. Annegret Falter wurde als Vorsitzende, Robert Bungart als stellvertretender Vorsitzender sowie Johannes Ludwig und Lothar Hausmann als Mitglieder des erweiterten Vorstands wiedergewählt. Auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand ausgeschieden bzw. nicht für eine Wiederwahl angetreten sind Thomas Holbach und Markwart Faußner. Wir danken beiden für ihr tatkräftiges Engagement und freuen uns, dass sie Whistleblower-Netzwerk verbunden bleiben. Neu im geschäftsführenden Vorstand ist Klaus Bergmann. Er leitete unter anderem die Abteilung Internationale Angelegenheiten der Deutschen Welle und deren Europarepräsentanz in Brüssel. Zudem war er Vorsitzender der International Broadcasting Assembly (IBA) der Europäischen Rundfunkunion EBU. Seit Beginn seines Ruhestands ist der studierte Jurist wieder als Rechtsanwalt tätig.
Testimonial Bergmann

5. Empfehlungen

Immer mehr Unternehmen erkennen, welch wertvollen Beitrag Whistleblower zur frühzeitigen Aufdeckung und Beseitigung von Missständen und Fehlentwicklungen leisten und bieten ihnen daher unterschiedliche (anonyme) Meldekanäle, eine unabhängige Beratung, Vertraulichkeit gegenüber der Geschäftsführung und Schutz vor Repressalien, wie der EQS Whistleblowing Report 2021 zeigt. Die niedrige Zahl der Meldungen spricht jedoch dafür, dass es noch nicht überall gelungen ist, eine whistleblowerfreundliche Unternehmenskultur zu etablieren.

Doch wie müssen interne Hinweisgebersysteme ausgestaltet sein, damit Mitarbeitende von Unternehmen ihnen vertrauen und sie tatsächlich nutzen? Darüber wissen wir leider noch zu wenig, da sich systematische Befragungen bislang auf Compliance-Verantwortliche und Geschäftsführungen konzentriert haben. Das unabhängige Marktforschungsinstitut feedbaxx will diese Lücke schließen und die für Meldungen entscheidende Gruppe anonym befragen – die Mitarbeiter*innen. Natürlich wird die Studie nur erfolgreich, wenn möglichst viele daran teilnehmen. Bitte nehmen Sie für die Beantwortung der Umfrage 5-10 Minuten Zeit und leiten sie in ihrem Kollegen- und Bekanntenkreis weiter.
Studie Mitarbeitende feedbaxx
Wenn Sie Unternehmen, Behörden oder zivilgesellschaftlichen Organisationen kennen, die Unterstützung bei der Etablierung von Hinweisgebersystemen und einer whistleblowerfreundlichen Organisationskultur benötigen, dann empfehlen Sie gerne unser Beratungs- und Schulungsangebot.

Frühzeitig hatten Wirecard-Whistleblower wie Pav Gil auf die kriminellen Machenschaften bei Wirecard hingewiesen und wurden massiv unter Druckt gesetzt, wie eine empfehlenswerte Dokumentation in der ARD zeigt.

Eine Empfehlung zum Lesen und Teilen sind natürlich unsere Beiträge in diversen Medien und in unseren Social-Mediakanälen Twitter, Facebook, LinkedIn und Instagram.
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